Cow


„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ (Aristoteles) – Die Kuh verliert über Nacht ihre Flecken und macht sich auf die Suche. Der sehr harmlos wirkende Film über verschwundene Kuhflecken ermöglicht einen Einstieg in die Fragen nach Ganzheit und Identität, oder auch Freundschaft.

Die Kuh ist müde und steht schwer in ihrem Stall: Muh! Vor dem Schlafen leckt sie sich über das Fell und kitzelt damit die beiden weissen Flecken, die vor Kichern kaum stillhalten können. Die Kuh zieht die Decke über sich und träumt davon, im Himmel schwerelos von Wolke zu Wolke zu hüpfen. Die beiden wolkenförmigen weissen Flecken auf ihrem Fell kichern vor Vergnügen. – Als die Kuh beim ersten Hahnenschrei erwacht und sich das Fell leckt, sind die Flecken verschwunden: Sie erschrickt und sucht überall. Schliesslich findet sie ihre Kuhflecken als zwei weisse Wolken im Himmel. Kichernd bleiben sie da oben und machen sich einen Spass aus der Kuh, die nun sehr traurig wird und in Tränen ausbricht. Am Ende sind aber alle wieder vereint und die Kuh wieder ganz.

Der Film ist gemacht für Kindergarten- und Grundschulkinder und funktioniert wohl vor allem dort. Die Bildsprache ist sehr ansprechend auch für ältere Zuschauerinnen und Zuschauer, aber die sehr kindliche Tonspur wirkt auf ältere Kinder schnell einmal als zu niedlich. Dennoch birgt die zunächst etwas unschuldig-harmlos daherkommende Geschichte einiges Potential.

Überraschend ist gleich zu Beginn des Films, dass die Kuhflecken gewissermassen ein Eigenleben führen, und dies wird im Verlauf des Films für die Kuh krisenhaft erfahrbar. Dabei changiert der Film zwischen zwei Beurteilungen dieser Kuhflecken: Einerseits sind sie von der Kuh als Gegenüber erfahrbar, wie gute und enge Freunde. Andererseits gehören Kuhflecken doch zur Kuh selbst, und daher löst das Verschwinden der Flecken eine Identitätskrise bei der Kuh aus.

Die Flecken als Freundinnen/Freunde: Der Film könnte gelesen werden als eine Geschichte, in der eine enge Freundschaft in Frage gestellt und schliesslich wieder bestärkt wird. Aus der Sicht der Kuh ist die Verbundenheit mit den Freundinnen und Freunden so eng, dass sie gewissermassen zum Ich dazugehören und dass ein Leben ohne sie leer, sinnlos und traurig wird. Schön ist, wie die tränenreiche Trauer der Kuh über den Verlust der Freundschaft auch Trauer und Tränen bei den Freundinnen/Freunden hervorruft, welche die verlorene Verbindung wieder herstellen. In der Lebenswelt von Kindern gibt es hier zahlreiche Anknüpfungspunkte aus eigenen Erfahrungen mit Freundinnen und Freunden, mit Streichen, Streit, Suche, Verlorenheit, Angst und Versöhnung.

Die Flecken als Teil des Ich: Der Film könnte gelesen werden als eine Geschichte, in der ein äusserlich sichtbarer Verlust zu einer Identitätskrise führt. Die Kuh sucht den verlorenen und offenbar essentiellen Teil ihres Ichs wieder, ohne den sie sich nicht als vollständig begreifen kann. Die im Film gezeigte Lösung des Problems ist eine Wiederherstellung, Festigung und Bestätigung des Bisherigen, die für kleinere Kinder angemessen, allerdings für Fragestellungen der Pubertät wohl nicht weiterführend sind. In der Lebenswelt von kleineren Kindern gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte in Erfahrungen von Verlassenheit, Verlorenheit, Einsamkeit bzw. andererseits von Wieder-Gefunden-Werden, Angenommensein und Ganzheit.

Die vom Katholischen Filmwerk produzierte DVD „Geschlechter. Rollen, Verhalten, Erwartungen“ mit nichtgewerblich-öffentlichem Vorführrecht (Ö-Recht) enthält neben dem Film „Kuh“ die auch öffentlich zugängliche Arbeitshilfe von Manfred Karsch.

Bibliothekarische Bestellung des Films

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