Der Besuch


"between afterlife and her real life" – Eine mit viel Humor und Liebe erzählte und äusserst sorgfältig gestaltete Geschichte über Demenz: Von der Grossmutter, für die Vergangenheit und Gegenwart ein wenig durcheinander geraten, oder: für die afterlife und past life friedlich zueinanderfinden.

Mit­ten in der Nacht steht die alte Mut­ter in der von den rot­glü­hen­den Plat­ten ih­res Kü­chen­herds be­leuch­te­ten Kü­che und te­le­fo­niert ih­rem er­wach­se­nen Sohn: "er lässt sich nicht mehr ab­dre­hen!" Der Sohn trifft ein und er­klärt der Mut­ter "zum 127. Mal" die Be­die­nung des Herds. Auf die Nach­fra­ge des Soh­nes be­tref­fend der in der Stu­be ge­deck­ten Ta­fel und der um­fang­rei­chen Vor­be­rei­tun­gen in der Kü­che er­klärt die Mut­ter, dass "die Lin­zer" ja noch kä­men. Dem Sohn reisst der Ge­dulds­fa­den und er rech­net der Mut­ter vor, dass sie 85 sei und die Lin­zer dem­entspre­chend 120 sein müss­ten: "Die kom­men heu­te nicht mehr und mor­gen auch nicht." Nach hef­ti­gen Er­mah­nun­gen und der für­sorg­li­chen Bit­te, nun brav zu schla­fen, ver­ab­schie­det er sich. Die alte Dame löscht das Licht und geht zu Bett. Da klin­gelt es an der Tür: Die Lin­zer kom­men!

Die in die­sem Film er­zähl­te Ge­schich­te ist nicht ganz ohne Kom­ple­xi­tät, weil die Wirk­lich­keits­ebe­nen der al­ten Mut­ter stän­dig wech­seln und auch der Sohn dar­in nur sehr be­dingt Ori­en­tie­rung schaf­fen kann und will. Die­ses Spiel mit den ver­schie­de­nen Ebe­nen von Zeit und Wirk­lich­keit ist wun­der­bar und bei der er­sten Vi­sio­nie­rung sind die Be­trach­te­rin­nen und Be­trach­ter wohl al­lein da­mit ei­ni­ger­mas­sen be­schäf­tigt. Nach ei­nem er­sten Durch­gang wird im Un­ter­richt die Auf­ga­be sein, die ver­schie­de­nen Ebe­nen in Be­zie­hung zu set­zen und Fra­gen und Be­ob­ach­tungs­auf­trä­ge für eine zwei­te Vor­füh­rung zu sam­meln.

In ei­nem zwei­ten oder auch drit­ten Durch­gang wird der Film noch längst nicht lang­wei­lig, da nicht nur die Ge­schich­te, son­dern auch Bild und Ton äus­serst de­tail­reich ge­stal­tet sind und auch bei der sieb­ten Vor­füh­rung noch amü­san­te wie be­deu­tungs­rei­che De­tails zu ent­decken sind. Das lies­se sich un­ter­richt­lich nut­zen für eine Spu­ren­su­che nach der Le­bens­ge­schich­te der al­ten Frau: Was sagt sie selbst über sich, was er­zäh­len die In­ter­ak­tio­nen mit ih­rem Sohn und den Gä­sten (ih­ren El­tern), was be­rich­tet die Aus­stat­tung und das De­kor ih­rer Woh­nung über das Le­ben der al­ten Frau?

In­ter­es­sant ist auch das Ver­hal­ten des Soh­nes als sorg­sa­mer Um­gang mit der De­menz sei­ner Mut­ter: Wie geht er mit dem bis­wei­len ver­wir­ren­den Wech­sel von Zeit- und Rea­li­täts­ebe­nen um? Wo lässt er die Rea­li­tä­ten sei­ner Mut­ter ste­hen, wo geht er dar­auf ein? Wo ord­net er die Rea­li­tät nach sei­nen Kri­te­ri­en und wo wird er un­ge­hal­ten?

Sehr in­ter­es­sant ist das In­ter­view mit dem Fil­me­ma­cher Con­rad Tam­bour, der be­rich­tet, wie er mit die­sem Film au­to­bio­gra­fi­sche Er­fah­run­gen mit sei­ner Gross­mutter auf­nimmt:

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