Ein Mann wie ein Baum 3


„Wir hatten nie so mickrige Dinger.“ – Bei Weihnachtsbäumen, -männern und Männern zählen vor allem äussere Werte.

Dem Weihnachtsmann hat wohl jemand die Luft rausgelassen, oder er ist nicht mehr ganz dicht: Auf jeden Fall hängt er ziemlich elend über den Zaun.

Dabei ist die Welt zunächst noch in Ordnung. Innenstadt, Dezember ohne Schnee, kurz vor Weihnachten. Ein Familienvater sucht gemeinsam mit seinen zwei Kindern einen Weihnachtsbaum aus: „Ich glaub, die Grösse ist richtig.“ Der Sohn möchte aber einen kleineren. Auch wenn der Vater nicht ganz sicher ist, ob die Lichterkette darauf Platz hat, soll es also dieser sein. Ein grosser mächtiger Mensch in grünem Ölzeug verpackt den Baum und sägt den Stamm zurecht.

Während Vater und Kinder zuversichtlich die fachmännische Arbeit betrachten, betritt ein älterer Herr mit Hut und Einkaufstrolley die Szene. Mit mürrischer Miene mustert er misstrauisch die ausgestellten Weihnachtsbäume. Eine Hand auf der Hüfte aufgestützt kommt er näher: „Junger Mann!“

„Meinen Sie mich?“ Die junge Frau unterbricht ihre Arbeit und schaut auf. Und so nimmt der Weihnachtsbaum-Kauf seinen Lauf: gross und stattlich – einer, zu dem man aufschauen kann.

Der saisonal derzeit höchst angesagte Film ermöglicht sowohl Einblicke in nicht gerade stereotype Geschlechterbilder als auch Ausblicke auf weihnächtliche Festtraditionen. Der Film funktioniert für Menschen ab ca. 8 Jahren, auch im Unterricht: Dazu hier ein paar Anregungen.

Erstmal: anschauen und austauschen

Wie immer empfehle ich eine unfokussierte erste Visionierung ohne spezielle Beobachtungsaufträge sowie unmittelbar anschliessend einen ersten offenen und ungerichteten Austausch in Murmelgruppen.

Da Plot und Handlung klar und nachvollziehbar sind, gehe ich davon aus, dass es auch bei Kindern wenige Verständnisprobleme geben wird. Die bereits im Filmtitel „Ein Mann wie ein Baum“ausgedrückte zentrale Spannung des Films wird wahrscheinlich bereits in den Murmelgruppen angesprochen worden sein. Diese Spannung ist sehr reizvoll und eine genauere Untersuchung wert.

Kleiner alter Mann und grosse junge Frau

Wie wird die Frau gezeigt? Wie wird der Mann gezeigt? Wie werden die Unterschiede zwischen der grossen jungen Frau und dem kleinen alten Mann gezeigt? Die Differenzen lassen sich in nahezu allen filmsprachlichen Gestaltungselementen (vgl. zum Beispiel https://nwdl.eu/filmsprache/) wiederentdecken, und das macht grossen Spass. Im Folgenden greife ich die m.E. für das Thema des Films bedeutsamsten Gestaltungsmittel heraus:

Einstellungsgrössen: Anhand des Films können verschiedene Einstellungsgrössen erkundet und entdeckt werden. Welche sind vorherrschend und welche Wirkung hat das für die Frage nach der Darstellung von klein und gross? Welche Einstellungen sind rar? Welche werden gar nicht verwandt und warum nicht? Möglicherweise (das ist eigentlich schon eine Interpretationsaufgabe): Welche Namen geben wir den in diesem Film oft verwendeten Einstellungen „Mann in Naheinstellung neben grossem Frauentorso“ oder „Frau in Naheinstellung mit Männerhut am unteren Bildrand“?

Kamerabewegungen: Welche Bewegungen der Kamera sehen wir und welche sind besonders auffällig und wirksam?

Perspektiven: Welche Perspektiven werden eingesetzt zur Markierung der Differenz, oder: zur Behebung der Differenz? Besonders interessant ist dazu die abschliessende Szene im Treppenhaus mit seinen vielfältigen sich eröffnenden Perspektiven.

Sprache: Hier lassen sich nicht nur die Dialoge (s.u.) untersuchen (wer spricht? was wird gesagt? wer spricht nicht? was wird nicht gesagt? oder: was denkt die kleine Schwester?), sondern auch Paraverbales (wie wird etwas gesagt? *Keuch*) und Nonverbales (Mimik, Gestik, Bewegungen, Berührungen, Blicke).

Ton/Musik: Welche Arten von Ton gibt es? Welche sind in diesem Film besonders wichtig? Interessant ist vor allem die (extra-diegetische) Musik: Wann gibt es welche Musik? Wie ist sie jeweils zu charakterisieren? Wann setzt sie aus, wann setzt sie ein? Wie strukturiert die Musik den Film? Was klingt dort an? (O Tannenbaum!)

Erzählung: Welche Perspektive nimmt eigentlich die Erzählung ein? Nimmt sie Partei, bleibt sie völlig distanziert oder wie sonst liesse sich diese Erzählperspektive beschreiben?

Dialoge

Ich habe mal mitgeschrieben, rein verbal:

Vater: Ich glaub, die Grösse ist richtig.

Sohn: Ja.

Vater: Der hat richtig schön viel Nadeln für die Lichterkette. Oder was hängen wir da noch dran?

Sohn: Komm mal her. Ich will den da!

Vater: Den findest Du besser? Ja, dann wollen wir den mal anschauen… Passt die Lichterkette denn auch drauf?

Sohn: Ja.

Vater: Hehe. Meinst Du?

Sohn: Den hier!

Mann: Junger Mann!

Frau: Meinen Sie mich?

Mann: Wo ist denn Ihr männlicher Kollege?

Frau: Warten Sie einen Moment. Ich komme gleich zu Ihnen, ja? … So. Und den Baum, den nimmt der Papa.

Vater: … nehm ich direkt.

Frau: Dann schöne Weihnachten!

Vater: Danke schön! Tschüss!

Frau: Tschüss!

Vater: Tschüss!

Frau: Wie kann ich Ihnen denn helfen?

Mann: Tja… schöner Baum…

Frau: Wie gefällt Ihnen der hier denn?

Mann: Johohoho… Ich bin ja grösser als der!

Frau: Naja…

Mann: Wie hatten nie so mickrige Dinger… Ein Weihnachtsbaum, der muss gross und stattlich sein… Zu dem muss man aufschauen können.

Frau: Was halten Sie denn von dem?

Mann: Jaa, hmm… So muss ein Baum ausschauen.

Frau: Gut.

Mann: Mädchen… Lass mal!

Frau: So, das macht 60 Euro.

Mann: 60 Euro? Für einen Baum?

Frau: Naja, da steckt viel Arbeit drin, nicht wahr?

Mann: Früher waren sie aber nicht so teuer.

Frau: Früher war nix so teuer… Dann… Frohe Weihnachten!

Mann: Ja, danke.

Frau: Stellen Sie das Ding mal wieder hin… Stellen Sie das Ding mal hin.

Mann: Ach lassen Sie mal… Ich nehme ihn so.

Frau: Ich kann Ihnen den Baum auch zurückstellen… Aber nur bis 19 Uhr, heute ist schliesslich Heilig Abend… Wo wohnen Sie denn?

Mann: Warten Sie! Warten Sie… ich mach auf… Der muss in den vierten Stock… Sie können ihn hier absetzen.

Frau: Frohe Weihnachten!

Männliche Stimme 1: Hey, Papa ist da!

Männliche Stimme 2: Papa ist da.

Männliche Stimme 3: Der ist aber gross!

Dialoge aus „Ein Mann wie ein Baum“

Frauenbilder – Männerbilder

Die verschiedenen Aspekte lassen sich zusammenfassen unter der Fragestellung „Frauenbilder – Männerbilder“: Wie wird die Frau gezeigt? Und unter Berücksichtigung der kleinen Schwester: Wie werden Frauen gezeigt? – Wie wird der Mann gezeigt? Und inkl. Vater, Sohn und drei männlichen Stimmen (Entschuldigung, das klingt beinahe trinitarisch): Wie werden Männer gezeigt?

Ausgehend vom Filmtitel könnte auch die Verbindung zum Weihnachtsbaum befragt werden: Was haben eigentlich Geschlechterbilder mit dem Weihnachtsbaum zu tun? Oder sogar: Warum drängt sich bei der Beschäftigung mit dem Weihnachtsbaum ganz offenbar die Frage nach Männer- und Frauenbildern auf?

Weihnachtsbäume – Weihnachtsbräuche

Ist Weihnachten eigentlich das Fest der grossen und stattlichen Bäume, zu denen man aufschauen kann? Warum feiern Menschen eigentlich Weihnachten?

Ausgehend vom Film bietet es sich an, auch Weihnachtsbaum, Weihnachtsmann und andere Weihnachtsbräuche zu untersuchen. Vielfältige Informationen, die noch für den unterrichtlichen Einsatz aufzubereiten sind, finden sich auf Wikipedia, nämlich einerseits zu Entstehung und Geschichte des Weihnachtsfest, andererseits zum Weihnachtsbaum und zum Weihnachtsmann.

Weihnachtslieder

Das in der Musik des Films anklingende Weihnachtslied „O Tannenbaum“ ist einerseits wohl bekannt genug und andererseits so leicht auffindbar, dass es hier nicht genannt werden muss.

Zum Thema Weihnachtsbaum und Weihnachtsbräuche ist mir aber noch ein anderes Lied (von einer Schallplatte aus meiner Kindheit) eingefallen, das – zumindest in dieser bemerkenswerten Textfassung – kaum noch aufzufinden ist. Ich füge den Liedtext hier noch ein:

Wenn Weihnachten ist, wenn Weihnachten ist,
dann kommt zu uns der heilige Christ.
Dann zünden wir ein Tannenbäumchen an
mit Äpfel, Nüss und Pfefferkuchen dran.

Dann kriegen wir eine Muh,
und dann kriegen wir eine Mäh,
und dann kriegen wir die allerschönste Täterätätä.
Dann kriegen wir eine Muh,
und dann kriegen wir eine Mäh,
und dann kriegen wir die allerschönste Täterätätä.

Wenn Weihnachten ist, wenn Weihnachten ist,
dann kommt zu uns der heilige Christ.
Dann zünden wir ein Tannenbäumchen an
mit Äpfel, Nüss und Pfefferkuchen dran.

Dann kriegen wir ein‘ Miau,
und kann kriegen wir ein‘ Wauwau,
und dann kriegen wir eine wunderschöne Pfefferkuchenfrau.
Dann kriegen wir ein‘ Miau,
und kann kriegen wir ein‘ Wauwau,
und dann kriegen wir eine wunderschöne Pfefferkuchenfrau.

Wenn Weihnacht‘ vorbei, wenn Weihnacht‘ vorbei,
dann sind die Sachen alle entzwei.

Kaputt ist die Miau,
kaputt ist der Wauwau,
und aufgegessen ist die schöne Pfefferkuchenfrau.
Kaputt ist die Miau,
kaputt ist der Wauwau,
und aufgegessen ist die schöne Pfefferkuchenfrau.

Liedtext „Wenn Weihnachten ist“ (gemeinfrei)

Das war nun vielleicht ein bisschen assoziativ.

Frohe Weihnachten!

(via denkfabrikblog, mit besten Grüssen an Manuel)


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3 Gedanken zu “Ein Mann wie ein Baum

  • Almut Hemsing

    Guter Film und man möchte am liebsten einschreiten, um allen und sich selber das Elend zu ersparen.., aber es geht weiter… und würdevoll zuende. Frohe Weihnachten!!!
    Und im nächsten Jahr ???
    Interessante Fragestellungen und Ansätze der Machart! Wird mir im Kopf bleiben, Dankeschön!