Laps


#metoo – Mit einer grossartig besetzten Hauptfigur und seiner wirkungsvoll bedrängenden Kameraführung zeichnet der Film ein bedrückendes Bild von der subtilen Alltäglichkeit und Allgegenwart sexueller Belästigung, ja Gewalt gegen Frauen.

Es beginnt mit dem Ton, wir sind unter Wasser, ein Hallenbad. Jemand springt hinein; eine Frau, schwarzer Badeanzug, rote Kappe, Schwimmbrille. Die Kamera und damit auch wir als Zuschauerinnen und Zuschauer kommen ihr bedrängend nah, viel zu nah, fast körperlich. Schonungslos tastet die Kamera den Körper der Frau ab, wie sie sich durch das Wasser bewegt: Hände, Schultern, Achseln, Gesicht, Brüste, Po, Beine, Füsse. – Dann unter der Dusche, die Kamera linst wie heimlich durch den Spalt zwischen dem Duschvorhang und der Aufhängung, voyeuristisch. – Textblende: Laps.

In der U-Bahn-Station, der Zug fährt ein, schon sehr voll, die Frau tritt ein. Sie stellt den Rucksack zu Boden und spielt mit Kopfhörern ein Spiel auf ihrem Smartphone. Der Zug fährt. Es ist sehr eng, eine Männerhand mit Ehering greift die Haltestange direkt vor dem Gesicht der Frau. Sie schaut um sich. Ein anderer Mann steht hinter ihr, wir sehen nur Kinn, Hals und Kragen. Die Frau nimmt die Kopfhörer aus den Ohren, schaut zu Boden. Ein Männerarm legt sich an ihren, bedrängend, reibend. Der Mann steht dicht hinter ihr, hat beide Arme rechts und links an ihrem Oberkörper und Kopf, eingeklammert. Ihr Gesicht geht hinaus in die Dunkelheit des U-Bahn-Tunnels. Mit seinem Schuhspitzen tritt er ihr hinten auf die Füsse, drückt sich an den Boden, fixiert sie. Sein Kinn an ihrem Ohr. Sein Schoss an ihrem Po. Sie ist stumm. Die anderen Fahrgäste schauen gelangweilt. Oder: misstrauisch? Merken Sie etwas? Endlich naht der nächste Bahnhof, die Bremsen quietschen, Türen auf: raus!

Doch die Kamera verfolgt sie noch immer. Hört es denn nicht auf? Endlich: Da steht sie. Wir sehen sie erstmals halbwegs als ganzen Menschen in Halbnah-Einstellung. Schock, Ekel, Trauer und Verletzung stehen ihr ins Gesicht geschrieben. – Sie bindet die Schuhe, nimmt den Rücksack, geht wieder zum Bahnsteig. Die U-Bahn kommt, sie steigt ein, der Zug fährt ab.

Der Film zeichnet ganz ohne Worte, mit einer grossartig besetzten Hauptfigur und seiner wirkungsvoll bedrängenden Kameraführung ein bedrückendes Bild von der subtilen Alltäglichkeit und Allgegenwart sexueller Belästigung, ja Gewalt gegen Frauen. Der Film eignet sich zur Bearbeitung mit Jugendlichen ab 16 Jahren, Mädchen und Jungen. Wahrscheinlich ist es allerdings sinnvoll, den Film zunächst in geschlechtergetrennten Gruppen zu bearbeiten.

Da der Film einen extrem starken Eindruck hinterlässt und eventuell heftige Gefühle und Gedanken auslöst, ist es hier ganz besonders angebracht, unmittelbar nach der Filmvisionierung eine Erstverarbeitung des Films in „Murmelgruppen“ (die bei diesem Film auch lauter werden können) vorzusehen. Auf diese Weise können unmittelbare Reaktionen im eher persönlichen Rahmen mit der direkten Sitznachbarin bzw. dem Sitznachbar ausgetauscht werden.

Um die filmisch ganz ohne Worte inszenierten Geschehnisse für den Unterricht zu verbalisieren, könnte in einem zweiten Schritt eine Empathieübung anhand von Videostills durchgeführt werden, in der die Schülerinnen und Schüler sich in die Frau versetzen und zu jedem Bild äussern, was die Frau jeweils denkt und was sie fühlt.

Anschliessend könnte ebenfalls anhand der Videostills oder bei einer erneuten Visionierung des Films ein besonderer Blick auf die Kameraführung bzw. die Kadrierung des Bilds geworfen werden: Was ist dort zu bemerken und welche Wirkung hat diese Cadrage?

Ausgehend vom Film könnten Schülerinnen und Schüler überlegen, wie die Menschen im Umfeld, d. h. mit Bezug auf den Film: die anderen Fahrgäste der U-Bahn, sich verhalten müssten, um Erfahrungen wie die der Frau in diesem Film zu verhindern. Dazu: Was hätte der weiblichen Hauptfigur im Film, die in ihrer bedrängten Situation offenbar selbst nicht mehr handlungsfähig war, geholfen? Was hätte sie sich gewünscht? Wie kann man solche Bedrängungssituationen möglichst verunmöglichen oder ausschliessen?

Mit Blick auf die aktuelle #metoo-Debatte, die auch Schülerinnen und Schüler verfolgen und bewegt diskutieren, könnten aktuelle Geschehnisse und womöglich – und mit einiger Vorsicht vor heiklen Fragen in grossen Gruppen – negative oder positive Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern selbst thematisiert werden.

Der Beitrag von IndieWire zum Sundance-Filmfestival 2017 zitiert die Filmmacherin Charlotte Wells:

For me, ideas also tend to originate as images. I was inspired by my own and others’ experiences of sexual assault on the subway for „Laps“ but also by the image of a man behind pressed firmly behind a woman with his face framed out. Most of our references were photographs, especially the „Tokyo Compression“ series by Michael Wolf.

Charlotte Wells

Einige der Fotos dieser Serie von Michael Wolf  finden sich in einem Beitrag von Lensculture:
www.lensculture.com/articles/michael-wolf-tokyo-compression/

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