Nobody is normal 1


"Creep" – Nicht das blaue Wollknäuel-Wesen ist merkwürdig, abstossend oder "creepy", sondern – im Gegenteil – all die "normal" in Kontrolle Gekleideten, durch Uniformen Maskierten und in Seriosität Gehüllten sind die echten creeps.

Per­spek­ti­ve von un­ter dem Bett – wo be­kannt­lich Mon­ster le­ben: Knar­rend öff­net sich die Zim­mer­tür. Ein blau­es Woll­knäu­el auf Bei­nen steht dort, mit dün­nen Wollärm­chen, und tritt ein. – Blick in den of­fe­nen Klei­der­schrank, wo meh­re­re lee­re Schul­jun­gen-Hül­len am Bü­gel hän­gen. Das Woll­knäu­el-We­sen schnappt sich eine Hül­le. – Die Mu­sik setzt ein: Ra­dio­head "Creep". – Der Schul­jun­ge in bra­ver Schul­uni­form …, ach nein: es ist das merk­wür­di­ge Woll­we­sen: Es schliesst die Schul­jun­gen-Hül­le um sich.

Schul­flur: Der Schul­jun­ge kämpft mit sei­nem in­ne­ren Woll­knäu­el-We­sen. – Sub­jek­ti­ve Ka­me­ra, ein­ge­schränk­ter Blick aus dem In­nern der Schul­jun­gen-Hül­le auf die freund­lich win­ken­den Schul­freun­de. An der lin­ken Wand hängt ein Pla­kat "School dance". – Hil­fe! Am Hin­ter­kopf hat sich der Reiss­ver­schluss der Hül­le ge­öff­net und das Woll­knäu­el-We­sen quillt blau her­aus! – Un­ver­mit­telt rennt der Schul­jun­ge aus dem Bild.

Klas­sen­zim­mer: Der Schul­jun­ge steht an sei­nem Pult und re­fe­riert die In­hal­te ei­ni­ger hand­schrift­lich be­schrie­be­ne Blät­ter. Wie eine blaue Schlan­ge kriecht da plötz­lich ein Woll­fa­den aus dem lin­ken Är­mel: Ent­set­zen! Die Blät­ter flie­gen da­von.

Turn­hal­le: Der Schul­jun­ge hält sein lin­kes Hand­ge­lenk, in sei­nem In­nern ru­mort es ge­wal­tig.

Men­sa: Der Schul­jun­ge steht mit vol­lem Ta­blett mit­ten im Raum, ori­en­tie­rungs­los. – Over-the-should­er-shot: Zwei Mit­schü­le­rin­nen hän­gen ei­nen Schrift­zug auf: "School dance". – Ka­me­ra auf den noch im­mer ver­lo­ren her­um­ste­hen­den Schul­jun­gen. Er öff­net den Mund … – Song­text: "I'm a creep"

Aula, Auf­sicht auf die Men­ge: Auf der Büh­ne ste­hen eine Schü­le­rin und eine Leh­re­rin, hin­ter ih­nen hängt der Schrift­zug "School dance", die Auf­füh­rung ist be­en­det, Ap­plaus. – Der Schul­jun­ge in Nah­ein­stel­lung, er ap­plau­diert. – Over-the-should­er auf die Büh­ne: Die Mit­schü­le­rin nimmt win­kend den Ap­plaus ent­ge­gen. Doch plötz­lich quil­len wil­de Stoff­kis­sen un­ter ih­ren Ar­men her­vor. – Das Pu­bli­kum stöhnt ent­setzt auf. – Auf der Büh­ne ein rie­si­ges Stoff­kis­sen-We­sen. – Der Schul­jun­ge at­met tief durch und reisst sei­ne Schul­jun­gen-Hül­le von sich – ent­setz­te Blicke des Pu­bli­kums. – Shot: Gros­se Blicke des Stoff­kis­sen-We­sens auf der Büh­ne – Ge­gen­shot: Der fe­ste Blick des Woll­knäu­el-We­sens. – Links ne­ben ihm wirft ein Re­gen­bo­gen­glit­zer-We­sen sei­ne Hül­le ab, und in ei­ner kol­lek­ti­ven Be­we­gung alle An­we­sen­den: Was es da nicht al­les gibt! – Ap­plaus.

Text­ein­blen­dung: "No mat­ter how you feel in­si­de – you are not alo­ne" – an­schlies­send der Film­ti­tel in Ver­sa­li­en: "NOBODY is NORMAL" – und die In­sti­tu­ti­on, die die­se Kam­pa­gne lan­ciert hat: "child­li­ne – on­line, on the pho­ne, any­ti­me".

Die oben­ge­nann­te In­halts­an­ga­be ist – wie sich im Ver­lauf des Films her­aus­stellt – völ­lig falsch. Denn nicht das blaue Woll­knäu­el-We­sen ist merk­wür­dig, ab­stos­send oder "cree­py", nicht das Stoff­kis­sen-We­sen oder das Re­gen­bo­gen­glit­zer-We­sen, und auch nicht die vie­len wun­der­ba­ren Ge­schöp­fe, die am Ende in der Aula ste­hen. Sie sind al­le­samt gross­ar­tig, lie­bens­wür­dig und schön.

Im Ge­gen­teil: All die "nor­mal" in Kon­trol­le Ge­klei­de­ten, durch Uni­for­men Mas­kier­ten und in Se­rio­si­tät Ge­hüll­ten sind die ech­ten creeps, die wah­ren Mon­ster. Und wenn der Film uns ganz zu Be­ginn eine Zu­schau­er-Per­spek­ti­ve von un­ter dem Bett zu­weist, könn­te das An­lass sein, ein­mal über un­se­re Mon­ster­haf­tig­keit nach­zu­den­ken.

Der Film eig­net sich vor­züg­lich zur un­ter­richt­li­chen Be­ar­bei­tung mit Kin­dern ab ca. 10 Jah­ren, mög­li­cher­wei­se schon frü­her. Ein ge­wis­ses Ver­ständ­nis für Ir­ri­ta­tio­nen und Ver­un­si­che­run­gen der Pu­ber­tät sind wohl un­ver­zicht­ba­re Vor­aus­set­zung, um sich mit der Haupt­fi­gur oder an­de­ren Fi­gu­ren des Films iden­ti­fi­zie­ren zu kön­nen.

Nach den üb­li­chen er­sten Schrit­ten der Ar­beit mit Film, d.h. nach der Vi­sio­nie­rung, ei­ner er­sten Ver­ar­bei­tung in Mur­mel­grup­pen und der an­schlies­sen­den ge­mein­sa­men Re­ka­pi­tu­la­ti­on des Plots, schla­ge ich fol­gen­de Schwer­punk­te vor:

Der Songtext

Die Film­mu­sik be­steht aus ei­ner stark ge­kürz­ten Ver­si­on des Songs "Creep" von Ra­dio­head. Der voll­stän­di­ge Song­text und der Song sind leicht on­line auf­find­bar, der ge­kürz­te Song­text in die­sem Film lau­tet fol­gen­der­mas­sen:

When you were here be­fo­re, couldn't look you in the eye
You're just like an an­gel, your skin makes me cry
But I'm a creep, I'm a weir­do
What the hell am I doin' here?
I don't be­long here

Oder auf deutsch:

Als du vor­her hier warst, konn­te ich Dir nicht in die Au­gen schau­en
Du bist wie ein En­gel, dei­ne Haut bringt mich zum Wei­nen
Aber ich bin ein Ekel, ich bin ein Kauz
Was zur Höl­le ma­che ich hier?
Ich ge­hö­re nicht hier­hin

Es bie­tet sich an, die­sen Text in klei­nen Grup­pen oder Part­ner­ar­beit aus der Per­spek­ti­ve der Haupt­per­son zu be­trach­ten: In­wie­fern bringt der Text die Ge­füh­le der Haupt­per­son zum Aus­druck? Und vor al­lem: Wor­an er­ken­nen wir das? Näm­lich: Wie wer­den die Ge­füh­le der Haupt­per­son fil­misch, d.h. in Bild, Ton und Nar­ra­ti­on ge­zeigt? Die­se Be­ob­ach­tun­gen kön­nen auch an­schlies­send im Ple­num zu­sam­men­ge­tra­gen wer­den, um die Fä­hig­kei­ten des sprach­li­chen Aus­drucks über Film und Film­ein­drücke zu för­dern.

Falls die At­mo­sphä­re in der Grup­pen- oder Part­ner­ar­beit ver­trau­ens­voll ist, kön­nen dort so­gar per­sön­li­che As­so­zia­tio­nen und Be­zü­ge her­ge­stellt oder ähn­li­che Er­fah­run­gen aus­ge­tauscht wer­den. Ge­nau dort­hin zielt die Poin­te des Films, aber die­se ist evtl. bes­ser in Part­ner- oder Grup­pen­ge­sprä­chen auf­ge­ho­ben als im Ple­num.

Das Making-Of

Um die Be­trach­tung der Bild­ge­stal­tung zu ver­tie­fen, könn­te das "Ma­king-Of" zum Film be­trach­tet wer­den.

In die­sem "Be­hind the Sce­nes" gibt es Ein­blicke in die Her­stel­lung und Ge­stal­tung der Pup­pen und der Pup­pen-Ani­ma­ti­on. Da­bei wird u.a. deut­lich, wie viel Sorg­falt, De­tail­ge­nau­ig­keit, Ge­duld und Team­work in ei­nem so kur­zen Pup­pen­ani­ma­ti­ons­film stecken.

An­de­rer­seits macht das Ma­king-Of gros­se Lust, selbst ge­stal­tend und ani­ma­to­risch tä­tig zu wer­den: Eine aus­ge­dien­te Bäbi-/Pup­pen­stu­be und ent­spre­chen­de Re­qui­si­ten sind wohl leicht auf­find­bar und mit gän­gi­gen Stop-Trick-Apps lässt sich ein ein­fa­cher Film min­de­stens an­satz­wei­se er­pro­ben.

Das Finale

Aus den viel­fäl­ti­gen un­an­ge­neh­men Er­fah­run­gen und Si­tua­tio­nen führt der Film am Ende zu ei­nem gros­sen be­frei­en­den Fi­na­le, in dem alle bis­he­ri­gen "nor­ma­len" Mu­ster der ge­gen­sei­ti­gen An­er­ken­nung um­ge­kehrt wer­den:

Es geht im Le­ben nicht dar­um, nor­mal zu sein, zu blei­ben oder zu wer­den. Im mensch­li­chen Zu­sam­men­le­ben und auch in der Schu­le ist es da­her ge­ra­de­zu falsch, al­les aus­zu­blen­den, was aus­ser­ge­wöhn­lich, un­er­war­tet oder un­ge­wohnt ist. Ge­ra­de im Um­gang mit Kin­dern und Ju­gend­li­chen muss nicht ein­mal das mas­kiert, ver­hüllt oder über­spielt wer­den, was un­an­ge­nehm, ab­stos­send, häss­lich, ek­lig, pein­lich … er­scheint (ob an­de­ren oder sich selbst), denn "no­bo­dy is nor­mal".

Um das un­ter­richt­lich ein­zu­ho­len, könn­te mit Bild­be­trach­tun­gen der Vi­deo­stills 1 bis 4 der fol­gen­den Aus­wahl ei­ner­seits die kon­ven­tio­nel­le, "nor­ma­le" Welt mit ih­ren Re­geln, Er­war­tun­gen und Zwän­gen be­schrie­ben wer­den, um die­sem Pan­ora­ma an­schlies­send eine be­frei­en­de Vi­si­on auf Grund der Bild­be­trach­tung der Vi­deo­stills 5 bis 7 und vor al­lem 8 ent­ge­gen­zu­set­zen: "In wel­cher Welt möch­tet Ihr gern le­ben?"

Spä­te­stens an die­ser Stel­le ist die Poin­te des Films ex­pli­zit und die per­sön­li­chen An­ders-Seins-Er­fah­run­gen der Schü­le­rin­nen und Schü­ler we­nig­stens im­pli­zit auf­ge­nom­men.

Die­se Poin­te kann an­schlies­send ge­stal­te­risch auf­ge­nom­men wer­den, in­dem die Schü­le­rin­nen und Schü­ler aus­ge­hend vom "Fi­na­le" (Vi­deo­still 8) eine ei­ge­ne Pup­pe (evtl. "my ugly doll") ge­stal­ten, ma­len, zeich­nen oder skiz­zie­ren. Ge­nau wie im Film er­mög­licht die ge­stal­te­ri­sche Frei­heit ein im­pli­zi­tes Auf­ge­ho­ben-Sein der ei­ge­nen Er­fah­run­gen von "creep" und "weir­do", ohne dass die­se ex­pli­zit ge­äus­sert oder er­kenn­bar ge­stal­tet sein müs­sen.

Die Kampagne

Schliess­lich kann die Kam­pa­gne "no­bo­dy is nor­mal" und ihre Trä­ger-In­sti­tu­ti­on child­li­ne the­ma­ti­siert wer­den:

  • Was sind die An­lie­gen der Kam­pa­gne und der In­sti­tu­ti­on?
  • War­um ist die­se Kam­pa­gne so wich­tig?
  • Wie ver­schärft sich das An­lie­gen der Kam­pa­gne ge­ra­de wäh­rend der Co­ro­na-Pan­de­mie?
  • Wel­che ähn­li­chen In­sti­tu­tio­nen gibt es bei uns? Wel­chen Sup­port gibt es hier?
  • Wel­che Per­spek­ti­ven auf den Um­gang mit per­sön­li­chen Er­fah­run­gen von Dif­fe­renz und An­ders­sein bie­tet der Film?

Die Kam­pa­gnen-Web­site von child­li­ne fin­det sich hier:
https://​www​.child​li​ne​.org​.uk/​i​n​f​o​-​a​d​v​i​c​e​/​y​o​u​r​-​f​e​e​l​i​n​g​s​/​n​o​r​m​al/

Für die Schweiz wä­ren fol­gen­de In­sti­tu­tio­nen zu nen­nen:

Be­ra­tungs-Web­site der Pro­Ju­ven­tu­te:
https://​www​.147​.ch

Kin­der­an­walt­schaft Schweiz:
https://​www​.kin​der​an​walt​schaft​.ch

Kin­der­schutz Schweiz:
https://​www​.kin​der​schutz​.ch

Für Deutsch­land wä­ren fol­gen­de In­sti­tu­tio­nen zu nen­nen:

Ju­gend­be­ra­tung der Bun­des­kon­fe­renz für Er­zie­hungs­be­ra­tung:
https://​ju​gend​.bke​-be​ra​tung​.de/​v​i​e​w​s​/​h​o​m​e​/​i​n​d​e​x​.​h​tml

Be­ra­tung für Ju­gend­li­che der pro fa­mi­lia:
https://​www​.pro​fa​mi​lia​.de/​j​u​g​e​n​d​l​i​che

Kin­der- und Ju­gend­te­le­fon des Num­mer ge­gen Kum­mer e.V., mit Un­ter­stüt­zung des Deut­schen Kin­der­schutz­bunds:
https://​www​.num​mer​ge​gen​kum​mer​.de/​k​i​n​d​e​r​-​u​n​d​-​j​u​g​e​n​d​t​e​l​e​f​o​n​.​h​tml

(Er­gän­zun­gen neh­me ich sehr gern auf. Bit­te schreibt mir ein Mail. Dan­ke!)


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