The Present


"Mama, wir sind draussen!" – Im zunächst äusserst abschätzigen Umgang des Jungen mit dem kleinen Hund und dessen Behinderung spiegelt sich nur seine Selbsteinschätzung als behindert, minderwertig und unvollkommen. Doch wenn das eigene Spiegelbild so ungehindert lebenslustig herumtollt, dann ist das ansteckend, glücklicherweise!

Be­reits im Vor­spann kon­fron­tiert der Film mit ei­ner sehr krie­ge­ri­schen Ton­spur, erst mit dem zwei­ten Bild wird klar, wo der Film ver­or­tet ist: Die Haupt­fi­gur des Films, ein etwa zwölf­jäh­ri­ger Jun­ge, sitzt mit ei­ner Spiel­kon­so­le auf dem Sofa vor dem Fern­se­her. Die her­un­ter­ge­las­se­nen Storen las­sen fast kein Son­nen­licht hin­ein, der Jun­ge hängt mit sei­nen Au­gen am Bild­schirm und drückt wie wild auf dem Con­trol­ler her­um. Das Ge­bal­ler ist oh­ren­be­täu­bend, auch die Be­grüs­sung der ge­ra­de heim­kom­men­den Mut­ter geht fast un­ter im Ge­tö­se. Sie stellt ei­nen gros­sen Kar­ton auf den Tisch vor dem Jun­gen und sagt, was alle El­tern sa­gen: Es ist so ein schö­ner Tag draus­sen, lass doch die Son­ne her­ein. Sie öff­net die Storen und fragt den Jun­gen, war­um er nicht das Ge­schenk öff­net, das vor ihm steht. Sie nimmt das klin­geln­de Te­le­fon und ver­schwin­det. – Ge­schenk? Der Jun­ge legt den Con­trol­ler weg und wid­met sich dem Kar­ton: Wow! Ein klei­ner Hund! Die sich nun ent­span­nen­de Be­geg­nung des Jun­gen mit dem Hund bie­tet meh­re­re Wen­dun­gen, wel­che die Zu­schaue­rin­nen und Zu­schau­er mit­neh­men auf ei­ner Ach­ter­bahn der Ge­füh­le bis hin zu ei­nem wirk­lich schö­nen Aus­gang.

Der Film eig­net sich vor­züg­lich zur Be­ar­bei­tung der viel­fäl­ti­gen Fra­gen rund um das Le­ben mit Be­hin­de­rung und Gren­zen, nach (Un-) Voll­kom­men­heit, An­er­ken­nung und Selbst­an­nah­me. Der Film eig­net sich für die Ar­beit mit Kin­dern ab etwa 6 Jah­ren und funk­tio­niert eben­so gut mit Ju­gend­li­chen und Er­wach­se­nen.

Um die ein­zel­nen Schrit­te der fil­misch er­zähl­ten Ge­schich­te für das un­ter­richt­li­che Ge­spräch zu­gäng­lich zu ma­chen, bie­tet sich eine Sich­tung und Be­ar­bei­tung des Films in drei Etap­pen an, näm­lich zu­nächst bis ca. 1'20'', dann bis ca. 2'30'' und schliess­lich bis zum Ende. Wenn der Film nicht auf die­se Wei­se "zer­schnit­ten", son­dern die Be­geg­nung mit dem in­te­gra­len Film be­reits bei der er­sten Sich­tung er­mög­licht wer­den soll, ist – wohl erst mit äl­te­ren Kin­dern – auch im Nach­hin­ein eine Be­ar­bei­tung in die­sen drei Schrit­ten mög­lich.

Zu­nächst (bis 1'20''): Wie re­agiert der Jun­ge auf das Ge­schenk? Wie lässt sich (bis hier) sei­ne äus­serst har­te Re­ak­ti­on er­klä­ren, als er die Be­hin­de­rung des Hun­des ent­deckt? Wel­che Re­ak­ti­on wür­den wir uns er­hof­fen? Wie wür­den wir re­agie­ren? Wel­che Emo­tio­nen ge­gen­über dem Hund ent­wickeln wir beim Zu­schau­en – und wel­che ge­gen­über dem Jun­gen?
Dann (bis 2'30''): Wie lässt sich das Ge­sche­hen in die­sem Teil des Films cha­rak­te­ri­sie­ren? Wie re­agie­ren wir auf den klei­nen Hund? Wel­che Emo­tio­nen und Ge­dan­ken ver­ber­gen sich hin­ter dem reich ge­zeich­ne­ten Mie­nen­spiel des Jun­gen? Wie lies­sen sich sei­ne Ge­dan­ken im Wor­te fas­sen?
Schliess­lich (bis zum Ende): Was be­wegt den Jun­gen dazu, sich doch dem klei­nen Hund zu wid­men? Wie hat sich die Sicht des Jun­gen auf den Hund – und: auf sich selbst – ver­än­dert? Wie könn­te man die Ge­schich­te mit ih­ren Wen­dun­gen aus der In­nen­per­spek­ti­ve des Jun­gen nach­er­zäh­len?

Die hier vor­ge­nom­me­ne Glie­de­rung ist eher grob: Wie lies­se sich der Film sorg­fäl­ti­ger glie­dern, wo sind die zen­tra­len Ge­scheh­nis­se und wo die dra­ma­ti­schen Wen­de­punk­te? U.a. eine in­ten­si­ve Un­ter­su­chung der Ton­spur inkl. der Mu­sik lie­fert hier deut­li­che Hin­wei­se.

Ein Aus­schnitt aus ei­nem In­ter­view mit dem Fil­me­ma­cher Ja­cob Frey fin­det sich auf der Web­site der Film-Zeit­schrift Di­gi­tal Pro­duc­tion:
www​.di​gi​tal​pro​duc​tion​.com/​2​0​1​5​/​1​2​/​0​2​/​t​h​e​-​p​r​e​s​e​n​t​-​h​o​l​t​-​5​0​-​f​e​s​t​i​v​a​l​a​u​s​z​e​i​c​h​n​u​ng/

Ein Web-Co­mic von Fa­bio Coa­la war die Vor­la­ge für die­sen Film. Der Co­mic fin­det sich im Ori­gi­nal auf der Web­site von Fa­bio Coa­la:
www​.men​tirin​has​.com​.br/​p​e​r​f​e​i​c​ao/

Hier – mit dem al­ler­be­sten Dank an Sa­bi­ne Lin­der (São Pau­lo) für die Über­set­zung – eine deut­sche Ver­si­on des Co­mics:

Der Ver­gleich des Films mit sei­ner Co­mic-Vor­la­ge bie­tet span­nen­de Ent­deckun­gen: Wie wer­den die im Co­mic we­sent­lich zahl­rei­che­ren sprach­li­chen Äus­se­run­gen des Jun­gen fil­misch um­ge­setzt? Der Co­mic bie­tet ei­ni­ge Stich­wor­te, die für die un­ter­richt­li­che Be­ar­bei­tung des Films und der The­ma­tik Be­hin­de­rung er­gie­big sind: "nicht wie die an­de­ren"; "Mit­leid"; "glück­lich" und vor al­lem "per­fekt" und "Per­fek­ti­on" oder "Voll­kom­men­heit" bzw. por­tu­gie­sisch "per­fei­ção" als Ti­tel des Co­mics.

Die von Mat­thi­as Film pro­du­zier­te DVD "Al­les an­ders" mit nicht­ge­werb­lich-öf­fent­li­chem Vor­führ­recht (Ö‑Recht) ent­hält ne­ben dem Film auch Ar­beits­ma­te­ria­li­en von Mar­ti­na Stein­küh­ler.

(via denk​fa​brik​blog​.de)

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Bibliothekarische Bestellung des Films

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