Typewriterhead


"Without a thought there exists nothing." – Die Bedrohlichkeit der nicht enden wollenden Flut der Gedanken wird in diesem Film eindrucksvoll in Szene gesetzt. Doch Leben ohne Denken gibt es nicht und ohne Gedanken existiert nichts. Und überraschend bietet die Kehrseite des vollgeschriebenen Blattes eine Entdeckung: das unbeschriebene Blatt.

Die Rolläden öff­nen sich, der Wecker klin­gelt blin­kend und die Haupt­per­son wacht auf: An Stel­le ei­nes Kopfs hat sie eine Schreib­ma­schi­ne. Mit der S‑Bahn geht es ins Büro, da­bei wird deut­lich, dass in der Welt von Ty­pe­wri­ter­head alle Men­schen Schreib­ma­schi­nen­köp­fe sind. Ge­dan­ken äus­sern sich dar­in, dass die Schreib­ma­schi­ne schreibt, deut­lich hör­bar durch die hacken­den Ge­räu­sche je­des ein­zel­nen An­schlags. Wie das dü­ste­re Licht und die gro­be Tex­tur des Films be­reits von An­fang an si­gna­li­siert hat, wird es nun rasch pro­ble­ma­tisch: Als Ty­pe­wri­ter­head eine her­um­lie­gen­de Zei­tung stu­diert, be­gin­nen die Ge­dan­ken zu ra­sen und die An­schlä­ge zu knal­len wie ein Ma­schi­nen­ge­wehr. Die aus der Schreib­ma­schi­ne lang und län­ger her­aus­hän­gen­den Pa­pier­fah­nen wer­den schwarz und schwär­zer. Im Büro sitzt Ty­pe­wri­ter­head sor­gen­voll vorn­über ge­beugt, wäh­rend eine schwarz­ge­füll­te Sei­te aus sei­nem Kopf wächst. Auch zu Hau­se und im nächt­li­chen Bett fin­det Ty­pe­wri­ter­head kei­ne Ruhe. Es denkt in sei­nem Kopf un­auf­hör­lich, und es druckt schwar­ze Sei­ten mit lau­tem Ge­klap­per. Die Über­macht der Ge­dan­ken stützt ihn aus dem Fen­ster, er­schlägt ihn, treibt ihn zur Flucht, bis die Schreib­ma­schi­ne rot­glü­hend und qual­mend ih­ren Geist auf­gibt. Auf ei­nem son­ni­gen Hü­gel aus­ser­halb ent­deckt Ty­pe­wri­ter­head, dass die Ge­dan­ken zwar wie­der­um schwarz auf weiss aus sei­nem Kopf strö­men, aber die Rück­sei­te des Pa­piers weiss, leer und un­be­schrie­ben ist – und im­mer sein wird.

Für den Un­ter­richt scheint zu­nächst eine ge­mein­sa­me Ent­schlüs­se­lung des Films sinn­voll: Was ist im Film zu se­hen? Was ge­schieht in wel­cher Rei­hen­fol­ge? Wel­che Ent­wick­lung er­zählt der Film? Wel­ches sind Schlüs­sel-Sze­nen und ‑Bil­der des Films? Was hat sich am Ende des Films ver­än­dert und auf wel­che Wei­se?

Da­mit rücken für die un­ter­richt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Film mög­li­cher­wei­se zwei Per­spek­ti­ven auf das zen­tra­le The­ma "Gedanken/Sorgen" in den Vor­der­grund, näm­lich ei­ner­seits die all­ge­mein mensch­li­che Er­fah­rung, nicht mit dem Den­ken auf­hö­ren zu kön­nen und an­de­rer­seits die Her­aus­for­de­rung, da­mit um­zu­ge­hen.

Die Er­fah­rung, nicht auf­hö­ren zu kön­nen, zu den­ken, zu sor­gen, zu grü­beln, ist wohl eine all­ge­mein mensch­li­che Er­fah­rung, die be­reits Kin­dern und Ju­gend­li­chen un­an­ge­nehm be­kannt ist. In Ver­bin­dung mit Ein­sam­keit und/oder Schlaf­lo­sig­keit kann die Er­fah­rung, dass "es" denkt, ohne dass ich es selbst noch steu­ern kann, be­droh­lich wer­den. Die zwei­te Sich­tung der ent­spre­chen­den Film­sze­ne (1'14''–1'29'') oder ein Vi­deo­still dar­aus könn­te Aus­gangs­punkt zu ei­nem Ge­spräch (evtl. in Part­ner­ar­beit) über sol­che un­an­ge­neh­men per­sön­li­chen Er­fah­run­gen sein. Wel­che film­sprach­li­chen Ge­stal­tungs­mit­tel nutzt der Film in die­ser Sze­ne (und in an­de­ren Se­quen­zen), um die Be­droh­lich­keit die­ser Er­fah­rung zu zei­gen? Wel­che Er­fah­run­gen habt ihr da­mit, wie wür­det ihr eure Ge­füh­le be­schrei­ben, wie ver­bild­li­chen, wie ver­to­nen, wie ver­fil­men?

Ge­gen­über der Er­fah­rung der nicht-en­den­den Ge­dan­ken ver­wirft der Film selbst zu­nächst eine ein­fa­che Lö­sung und schlägt ei­nen dif­fe­ren­zier­ten Um­gang mit die­ser Her­aus­for­de­rung vor. We­gen die­ser an­spruchs­vol­len Poin­te ist der Film an die­ser Stel­le nicht ganz leicht zu ent­schlüs­seln. Auch hier könn­te da­her eine zwei­te Sich­tung der ent­spre­chen­den Schlüs­sel­sze­ne auf dem son­ni­gen Hü­gel (2'43''–3'30'') oder zwei ent­spre­chen­der Vi­deo­stills hilf­reich sein. Wie wird film­sprach­lich die be­son­de­re Stel­lung die­ser Sze­ne in­ner­halb des Films mar­kiert? Wel­che (un)mögliche Lö­sung des Pro­blems zeigt und ver­wirft der Film? Wel­che Aus­sa­ge macht der Film über die Mög­lich­keit, mit dem Den­ken auf­zu­hö­ren? Wel­che Ent­deckung hilft Ty­pe­wri­ter­head schliess­lich dazu, mit dem Pro­blem des Den­kens le­ben zu kön­nen? Wie wird die­se Ent­deckung fil­misch ins Bild ge­setzt? Wie wür­det ihr die­se Ent­deckung be­schrei­ben, il­lu­strie­ren, ver­klang­li­chen, ver­fil­men?

Im Re­li­gi­ons­un­ter­richt könn­te der ein­schlä­gi­ge neu­te­sta­ment­li­che Text zum The­ma Sor­gen aus der Berg­pre­digt des Mat­thä­us-Evan­ge­li­ums (Mat­thä­us 6,25–34) un­ter­sucht wer­den. Wo geht die Poin­te des Mat­thä­us-Evan­ge­li­ums in eine an­de­re Rich­tung als die des Films? Wo gibt es Ähn­lich­kei­ten oder so­gar Ge­mein­sam­kei­ten?

Eric Giess­mann selbst hat sei­nen Film auf vi­meo mit ei­nem Rät­sel kom­men­tiert, das auf eine wei­te­re Be­deu­tungs­ebe­ne des Films hin­weist: "Was ist die Be­deu­tung der Uhr­zeit, die der Wecker im Film an­zeigt? Tip: Meist­ver­kauf­tes Buch al­ler Zei­ten". Da­mit stellt der Fil­me­ma­cher selbst noch ei­nen an­de­ren bi­bli­schen Be­zug her, näm­lich zum Rö­mer­brief des Apo­stels Pau­lus (Rö­mer 7,6). Auf die­se Wei­se wird der Film zu ei­ner ei­gen­stän­di­gen Aus­le­gung der pau­li­ni­schen Bot­schaft von der Be­frei­ung von Ge­setz und Buch­sta­ben zum Le­ben in der Wirk­lich­keit des Gei­stes Got­tes. Da Eric Giess­mann sich hier auf ei­nen Text aus dem Zen­trum der pau­li­ni­schen Recht­fer­ti­gungs­leh­re her­stellt, könn­te der Film mög­li­cher­wei­se auch Aus­gangs­punkt ei­ner Be­schäf­ti­gung mit den theo­lo­gi­schen Wur­zeln der Re­for­ma­ti­on sein.

In sei­nem Blog hat Eric Giess­mann die Ent­ste­hung des Films vom Sep­tem­ber 2014 bis Mai 2015 do­ku­men­tiert. Dort fin­den sich zahl­rei­che Skiz­zen, Über­le­gun­gen, Tests und mehr Ma­te­ri­al zu die­sem Pro­jekt, das zwi­schen­zeit­lich den Ar­beits­ti­tel "das un­be­schrie­be­ne Blatt" trug. Dort fin­det sich auch fol­gen­des "State­ment" des Fil­me­ma­chers zu sei­nem Film:

To clear you mind you need a compensation/a new per­spec­ti­ve.

Only co­ope­ra­ti­on works.

Wi­t­hout a thought the­re exists not­hing.

Eric Giess­mann

ani​ma​teds​hortf​.blog​spot​.de

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