Wolf


„Ha ha ha ha ha!“ – Wenn die Gans mit Schwimmring über den Wolf im Tutu lacht: Eine schöne Geschichte über das Ausgelacht-Werden und das gemeinsame Lachen, von Mobbing-Erfahrungen und gegenseitiger Akzeptanz.

Der Wolf stapft nachts durch den Wald: keuchend, ja knurrend, mit grimmiger Miene und gewaltigem Schritt, die Arme vor lauter Kraft angewinkelt. Als ihm eine gackernde Gans entgegenkommt, lässt er ein furchtbares Gebrüll vernehmen, zeigt seine spitzen Zähne und die Gans nimmt Hals über Kopf Reissaus. Zielstrebig geht er weiter, bleibt unvermittelt stehen und schaut sich verstohlen um.

Plötzlich lächelt er, alle Anspannung fällt von ihm ab, seine Körperhaltung wirkt mit einem Mal geradezu elegant. Zufrieden brummend bückt er sich und hält ein rosarotes Tutu in der Pfote. Lächelnd springt er hinein, setzt sich die ebenfalls rosaroten Federn auf den Kopf und dann tanzt der Wolf Ballett; auf einer Waldlichtung und bei Mondenschein zu Tschaikowskis Schwanensee (Akt 1, Nr. 9, Finale: Andante). Selbstvergessen schliesst er die Augen und summt mit sanfter Stimme die Melodie mit.

Da kommt die Gans zurück. Mit offenem Schnabel betrachtet sie die Szene, verwundert zunächst, sie lacht hämisch und versteckt sich rasch im Gebüsch. Ertappt hält der Wolf inne, räuspert sich, verliert seine Haltung und schnaut knurrend um sich. Als er niemanden entdecken kann, tanzt er weiter. Doch die Gans kehrt zurück: Sie lässt ein demonstratives Gelächter vernehmen und versteckt sich nicht mehr. So nimmt nun der Wolf Reissaus und flüchtet. In der nächsten Lichtung schaut er sich keuchend um, kommt wieder zur Ruhe und setzt seinen Tanz fort. Mehr und mehr wird die Gans zu einem beharrlich-niederträchtigen Plagegeist, sie lacht den Wolf lautstark aus, äfft seinen Tanz nach, verfolgt ihn auf Schritt und Tritt, schnappt mit dem Schnabel nach seinem Tutu, attackiert ihn von vorne und hinten und von rechts und links …

Doch nun lässt sich der Wolf nicht mehr herumjagen. Ungerührt bleibt er stehen und packt die Gans am Hals. Wieder lässt er sein wildes Gebrüll ertönen, hält die Gans in der Luft und  – die Zuschauer ahnen schon das Schlimmste, aber da wird seine Aufmerksamkeit abgelenkt. Was ist das? Sein Brüllen verstummt. Die Gans trägt einen quietschgelb quietschenden Schwimmring! Alles Gewalttätige fällt erneut von ihm ab. Der Wolf, gewissermassen entwaffnet,  lässt die Gans zu Boden plumpsen und muss lachen …

Der Film eignet sich zur Bearbeitung mit Kindern ab ca. 6 Jahren. Mit der differenzierten Gestaltung seiner Geschichte und seiner beiden Hauptfiguren bietet er zahlreiche Identifikationsmomente sowie mit Gans und Wolf zwei positive Identifikationsfiguren an.

In einem ersten Durchgang wäre es sinnvoll, den Film als Ganzes zu betrachten, um erste Eindrücke, Irritationen und Reaktionen zu sammeln. Wahrscheinlich ergeben sich schon da verschiedenste Beobachtungen und Assoziationen: Stärke, Gewalttätigkeit, Männlichkeit, Schwäche, Heimlichkeit, dazu Ausgrenzung und Mobbing, schliesslich Versöhnung, Offenheit und Akzeptanz.

In einem zweiten Durchgang könnte der Film schrittweise analysiert werden, als Empathie-Übung anhand der beiden Figuren. Dazu bekommen zwei Gruppen den Auftrag, jeweils die Gedanken und Gefühle des Wolfs bzw. der Gans zu formulieren, wenn der Film in mehreren Etappen gezeigt wird, zum Beispiel bis 0’24“; bis 1’00“; bis 1’25“; bis 2’15“; bis 2’35“; bis zum Schluss.
Einmal der Wolf: Welchen Eindruck erweckt er in der Anfangsszene? Wie fühlt sich der Wolf während seines Tanzes? Was denkt er, als die Gans ihn auslacht? Warum tanzt er weiter? Wo wird aus dem starken Wolf ein schwaches Mobbing-Opfer und wie entkommt der Wolf seiner Opferrolle? An welchem Punkt und wodurch verändert sich die Beziehung zwischen Wolf und Gans grundlegend?
Andererseits die Gans: Wie reagiert sie, als sie dem Wolf erstmals begegnet? Was geht in ihrem Kopf vor, als sie den Wolf tanzen sieht? Warum lacht sie? Aus welchem Grund traut sie sich, den starken Wolf auszulachen? Was denkt sie, als der Wolf sie schliesslich mit Gebrüll packt? Und wie fühlt sie sich, als er über ihren Schwimmreif lacht? Warum kann die Gans schliesslich gemeinsam mit dem Wolf lachen und tanzen?

Alle diese Überlegungen könnten schliesslich zugespitzt werden, in zweierlei Richtung:
Einerseits zur Frage des Ausgelacht-Werdens, zum Ausgestellt-Sein und zu Erfahrungen von Diskriminierung und Mobbing: Welche Verstehenshilfen bietet der Film an zur Entstehung, zur Täter-Opfer-Dynamik, zur Eskalation und zur Überwindung von Mobbing?
Andererseits zur Frage nach Rollenerwartungen und ihrer Enttäuschung bzw. nach Maske und Demaskierung, nach Äusserlichkeit und wahrem Ich: Welche Umgangsweisen mit der Enttäuschung von Rollenerwartungen, mit Demaskierung und Offenheit zeigt der Film? Ausgehend von der im Film zentralen Musik wäre hier ein Exkurs zum Libretto von Schwanensee oder zu dem auch aus zahlreichen Märchen bekannten Topos der verzauberten Prinzessin bzw. des verzauberten Prinzen möglich. Wie kommt dort und wie kommt hier die Erlösung zustande? Und was ist vielleicht das Gemeinsame von Liebe und einem freundlichen Lachen?

Die vom Katholischen Filmwerk produzierte DVD „Geschlechter. Rollen, Verhalten, Erwartungen“ mit nichtgewerblich-öffentlichem Vorführrecht (Ö-Recht) enthält neben dem Film „Wolf“ die auch öffentlich zugängliche Arbeitshilfe von Manfred Karsch.

Bibliothekarische Bestellung des Films

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