Mantra – Noisia


"MANTRA chronicles the dangerous obstacles refugees FACE on their journeys to reach safer harbors." – Das so irritierende wie aufwühlende Musikvideo verknüpft den kraftvollen Track von Noisia mit ziemlich realistischen Bildern von Flucht, Migration und der europäischen Asylpraxis.

Ein nicht voll­ende­ter und un­fer­tig her­un­ter­ge­kom­me­ner Neu­bau: In der kreis­run­den Auf­fahrt zum Park­haus liegt ein ver­dreck­ter und ver­knit­ter­ter Uni­on Jack. Der Wind er­fasst und trägt ihn mit sich in die Höhe. Im In­nern des Ge­bäu­des über­all Bau­schutt, auf­ge­ris­se­ne Wän­de, her­un­ter­hän­gen­de Ka­bel und: kau­ern­de Men­schen, ver­steckt, war­tend, lau­ernd – auch die Mu­sik.

Ge­mein­sam mit der sich lang­sam und macht­voll ent­wickeln­den Dy­na­mik des Noi­sia-Tracks kom­men die Men­schen in Be­we­gung, wie ein Tanz, zu­nächst eher sta­tisch, mit lee­rem Blick durch das of­fe­ne Fen­ster in die Fer­ne. Und dann vor­wärts drän­gend, ge­hend, lau­fend, im­mer schnel­ler, durch die stau­bi­gen Gän­ge des Hau­ses, hin­aus aus dem Zer­fall, ge­bückt ren­nend, über den ho­hen Zaun, vor­bei am weiss strah­len­den Kreuz­fahrt­schiff, bei Nacht hin­ein in das Schlauch­boot und über das peit­schen­de Meer nach Eu­ro­pa.

Über­lebt! Hin­ge­streckt am si­che­ren Strand, doch so­fort wie­der ren­nend, wei­ter­hin auf der Flucht, nun zwi­schen in­tak­ten Wohn­blöcken, noch ein Park­haus, kreis­rund, aber wei­ter: Nacht, Stras­sen­rand, Dun­kel. Ver­steckt und ent­deckt, ge­packt und ge­flo­hen, im­mer wei­ter durch die Nacht. Schliess­lich Ta­ges­licht. Ein nicht voll­ende­ter und un­fer­tig her­un­ter­ge­kom­me­ner Neu­bau, im Bau­schutt nun Ny­lon-Zel­te – und eine zum Him­mel auf­ge­reck­te Hand.

Die The­ma­ti­sie­rung der ak­tu­el­len Mi­gra­ti­ons­be­we­gung aus Nord­afri­ka nach Eu­ro­pa kommt im Mu­sik­vi­deo als ei­nem Me­di­um der Pop­kul­tur ei­ni­ger­mas­sen un­er­war­tet und ge­schieht da­her zwangs­läu­fig auf un­ge­wohn­te und sehr ir­ri­tie­ren­de Wei­se: Darf man das? Flucht im Mu­sik­vi­deo? Ist das nicht ge­schmack­los? – Ge­ra­de weil wir die schreck­li­chen Bil­der aus Fern­se­hen, Ta­ges­zei­tun­gen und News-Por­ta­len ken­nen, se­hen wir in die­sem Mu­sik­vi­deo auch al­les das, wo­vor es uns ver­schont; über­füll­te Boo­te, zahl­lo­se Er­trun­ke­ne und an­ge­schwemm­te Kin­der­lei­chen. Las­sen sich Ver­fol­gung und Flucht, Le­bens­ge­fahr und Über­le­ben, An­ge­kom­men- und Un­will­kom­men-Sein in ei­nem Mu­sik­vi­deo zei­gen? Wer­den die ab­grün­di­gen Er­fah­run­gen von Flucht und Mi­gra­ti­on nicht ba­na­li­siert und auf völ­lig un­an­ge­mes­se­ne Wei­se den äs­the­ti­schen Er­for­der­nis­sen des Me­di­ums Mu­sik­vi­deo un­ter­ge­ord­net und schliess­lich ge­op­fert?

Auf sei­ner Web­site äus­sert sich der Fil­me­ma­cher Sil van der Woerd zum Mu­sik­vi­deo. Dar­in wird deut­lich, dass hier kei­ne ober­fläch­li­che Äs­the­ti­sie­rung von Flucht und Mi­gra­ti­on statt­fin­det, son­dern die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem The­ma und den Men­schen be­ab­sich­tigt ist. Das Mu­sik­vi­deo ist ein Hin­weis für die Hö­re­rin­nen der Mu­sik und die Zu­schau­er des Mu­sik­vi­de­os: Flucht, Mi­gra­ti­on und Asyl sind The­men für die ge­sam­te eu­ro­päi­sche Ge­sell­schaft, auch nörd­lich des Mit­tel­mee­res und der Al­pen, auch aus­ser­halb der Ta­ges­pres­se und der Nach­rich­ten, und auch dort, wo wir Un­ter­hal­tung, Ver­gnü­gen und Tanz er­war­ten.

Die­ses Mu­sik­vi­deo bie­tet sich da­her an als ak­tu­el­les und an­spre­chen­des Me­di­um, mit dem der Ein­stieg in die The­ma­tik Flucht und Asyl mit Schü­le­rin­nen und Schü­lern ab ca. 13 Jah­ren un­ter­nom­men wer­den kann. Dazu könn­te zu­nächst tat­säch­lich ein rein äs­the­ti­scher Zu­gang ge­wählt wer­den: Was spricht euch an? Was ir­ri­tiert euch? Was be­schäf­tigt euch? In der wei­te­ren Ana­ly­se sind drei Aspek­te mög­li­cher­wei­se be­son­ders in­ter­es­sant und auf­schluss­reich:
1. "Tanz": War­um wird ge­tanzt? Was brin­gen die Tanz-Ele­men­te zum Aus­druck? Wel­che Funk­ti­on ha­ben sie für das Mu­sik­vi­deo?
2. "Hand": Was drücken die Hal­tun­gen und Be­we­gun­gen der Hän­de in die­sem Mu­sik­vi­deo aus? Wie lässt sich der Film an­hand der Hän­de nach­er­zäh­len, struk­tu­rie­ren und mög­li­cher­wei­se deu­ten?
3. "Man­tra": Was be­deu­tet der Ti­tel des Tracks und des Vi­de­os? Was ist ein Man­tra und in­wie­fern sind Track und Vi­deo als Man­tra zu ver­ste­hen?

Als Ver­tie­fung könn­te der Text des Fil­me­ma­chers über die Ent­ste­hung des Films un­ter­sucht wer­den. Be­son­ders be­mer­kens­wert sind dar­in wohl die bei­den fol­gen­den Aus­sa­gen.

Ex­cept two of the th­ree dancers and the two cops, all the peo­p­le por­tray­ed in the vi­deo are ac­tu­al re­fu­gees from Sy­ria, and mi­grants from Af­gha­ni­stan, Gha­na, Mali, Ni­ge­ri and So­ma­lia.

Sil van der Woerd

Du­ring pro­duc­tion we shared se­ve­ral din­ners with the mi­grants and they would share their sto­ries which were of­ten dag­gers to the he­art. They were of­ten mi­xed with sto­ries of joy.

Sil van der Woerd

Aus­ge­hend von dem Text des Fil­me­ma­chers kön­nen zu­sätz­li­che Be­rich­te und Ma­te­ria­li­en her­an­ge­zo­gen wer­den, an­hand de­rer sich die Schü­le­rin­nen und Schü­ler über rea­le Flucht­er­fah­run­gen in­for­mie­ren kön­nen. Ak­tu­el­le In­for­ma­tio­nen, sta­ti­sti­sche An­ga­ben so­wie Ma­te­ria­li­en für den Un­ter­richt zum The­ma Flucht und Asyl fin­den sich auf den Web­sites des Hoch­kom­mis­sa­ri­ats der Ver­ein­ten Na­tio­nen für Flücht­lin­ge UNHCR, der Schwei­ze­ri­schen Flücht­lings­hil­fe SFH und des Eid­ge­nös­si­schen Staats­se­kre­ta­ri­ats für Mi­gra­ti­on SEM. Das Ideen­Set Flucht und Asyl der PHBern und das The­men­dos­sier Migration/Flucht von éducation21 bie­ten ak­tu­el­le Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen und um­fas­sen­de Un­ter­richts­ma­te­ria­li­en zum The­men­be­reich.

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