Impasse 1


"impasse [ɛ̃'pa:s] f – Sackgasse f; Abstellgleis n; fig. Klemme f." – Mit den Qualitäten eines Stummfilms lotet dieser Kurzfilm das Spannungsfeld von Liebe und Rassismus aus. Die Begegnung zwischen zwei Menschen beginnt verheissungsvoll und endet doch rätselhaft in einer Sackgasse. Erst am Ende wird deutlich, welche Klemme auf das Abstellgleis geführt hat.

Ein jun­ger Mann sitzt in der U‑Bahn und schaut aus dem Fen­ster, sein Blick ist eher ge­gen in­nen ge­wandt. Je­mand legt sein Ge­päck auf den frei­en Platz ge­gen­über. Eine Frau, etwa gleich­alt­rig, dun­kel­häu­tig, in ei­nem glän­zen­den blau­en Ober­teil, das ihre weib­li­che Fi­gur be­tont. Der Mann schaut in­ter­es­siert, of­fen­bar be­müht, nicht all­zu neu­gie­rig zu sein und wen­det sei­nen Blick wie­der aus dem Fen­ster. Sie ver­staut ihre Ta­schen auf dem Ge­päck­ab­teil über den Sit­zen, auch über dem des Man­nes. Er ver­folgt jede ih­rer Be­we­gun­gen aus den Au­gen­win­keln. Als sie sich nach oben streckt, wird zwi­schen Ho­sen­bund und Ober­teil die nack­te Haut ih­rer Hüf­te sicht­bar. Er er­hascht ei­nen Blick, weiss kaum, wo­hin er schau­en soll, sitzt da mit of­fe­nem Mund. Die Frau nimmt schliess­lich Platz. Der Mann sieht sie an, stau­nend, et­was gie­rig. Be­müht wen­det er sei­nen Blick wie­der ab aus dem Fen­ster. Schnitt.

Nun sie von schräg hin­ten, sum­mend. Fo­kus auf ihn: Ein fas­zi­nier­ter Blick, fast lie­be­voll. Zö­gernd schaut er sie an, und wie­der fort. Ge­gen­schnitt.
Sie wen­det ih­ren Blick zu ihm. Ge­gen­schnitt.
Er schaut sie an, erst­mals tref­fen sich ihre Blicke: lang. Er wen­det sei­nen Blick ab. Ge­gen­schnitt.
Sie senkt ih­ren Blick. Ein sanf­tes Lä­cheln, ihr Mund öff­net sich. Ge­gen­schnitt.
Er lä­chelt ver­hal­ten. Ge­gen­schnitt.
Sie lä­chelt deut­lich, wen­det ih­ren Kopf zu ihm, schlägt die Au­gen auf, schaut ihn an. Ge­gen­schnitt.
Er in Nah­ein­stel­lung, sein Mund bebt, zit­tert, aber bringt kein Wort her­vor.

Die Brem­sen quiet­schen, sie geht zur Tür, wen­det sich noch ein­mal um … und steigt aus. Schnitt.
Er sitzt da, denkt nach, reibt sich über sei­nen Kopf und riecht an ih­rem Par­füm. Er legt sei­nen Kopf in die auf­ge­stütz­te Hand, den Blick ge­senkt. Plötz­lich kommt sein gan­zer Kör­per in Be­we­gung, er wen­det sich um, schaut aus dem Fen­ster, ihr nach.
Auf sei­nem Nacken ist ein dickes schwar­zes Ha­ken­kreuz tä­to­wiert.

Der Kurz­film eig­net sich zur The­ma­ti­sie­rung von Ras­sis­mus und Aus­län­der­feind­lich­keit in al­len Al­ters­grup­pen, die Er­fah­rung in der Kom­mu­ni­ka­ti­on durch wort­lo­se Blick-Kon­tak­te in Zü­gen etc. ha­ben. Die Al­ters­emp­feh­lung "ab 13" ist eher hoch an­ge­setzt.

Im Un­ter­richt ist zu­nächst der Film als sol­ches, dazu die be­son­ders bei der er­sten Vi­sio­nie­rung ner­ven­auf­rei­ben­de In­ter­ak­ti­on der bei­den Haupt­fi­gu­ren so­wie das über­ra­schend-schockie­ren­de Ende zu wür­di­gen. Wie ei­gent­lich bei je­dem Film ist ganz be­son­ders hier eine er­ste per­sön­li­che Ver­ar­bei­tung in Mur­mel­grup­pen (ohne Be­richt an die ge­sam­te Un­ter­richts­grup­pe) an­ge­zeigt, da mög­li­cher­wei­se das Be­dürf­nis be­steht, über ei­ge­ne ähn­lich ver­lau­fe­ne Er­fah­run­gen aus­zu­tau­schen.

Um den Fo­kus zu­nächst auf die wort­lo­se Kom­mu­ni­ka­ti­on durch Blicke zu be­schrän­ken, ist es er­wä­gens­wert, die Vi­sio­nie­rung be­reits vor dem über­ra­schen­den Schluss (bei ca. 3'30'') ab­zu­bre­chen: Wie kom­mu­ni­zie­ren die bei­den mit­ein­an­der? Was den­ken die bei­den? Was "sa­gen" die Blicke? Was "ge­schieht" in die­sem Film und war­um geht die Be­geg­nung so ent­täu­schend zu Ende?

Wenn in ei­ner zwei­ten Vi­sio­nie­rung dann auch und vor al­lem der Schluss des Films ver­ar­bei­tet wer­den soll, kann dies mit fol­gen­den Leit­fra­gen ge­sche­hen: Wo­für steht das Ha­ken­kreuz? Wel­che Hal­tun­gen und Über­zeu­gun­gen ver­mu­tet Ihr bei dem jun­gen Mann und wie ha­ben die­se sein Han­deln be­ein­flusst? Wel­che Ge­füh­le, Ge­dan­ken und Über­le­gun­gen ver­mu­tet ihr bei dem jun­gen Mann in den ver­schie­de­nen Pha­sen des Films? Wie än­dert das Ende des Films eure Wahr­neh­mung des Man­nes und der Frau?

Die Ton­spur des Films be­steht fast aus­schliess­lich aus Hin­ter­grund­ge­räu­schen, die zwar at­mo­sphä­risch wirk­sam, aber für die Hand­lung eher we­ni­ger be­deut­sam sind. Der Film ar­bei­tet mit den klas­si­schen film­sprach­li­chen Ge­stal­tungs­mit­teln der Stumm­film­zeit. Wich­ti­ge Ge­stal­tungs­mit­tel des Films sind Ein­stel­lungs­grös­sen, Schnitt und Mon­ta­ge: Wel­che Ein­stel­lun­gen wer­den wo und mit wel­chem Ef­fekt ein­ge­setzt? Wie ist der Film ge­schnit­ten und wie sind die ein­zel­nen Shots mon­tiert?

Schliess­lich: Was ist die An­fra­ge, Aus­sa­ge oder Poin­te des Films, auch un­ter Be­rück­sich­ti­gung des Film­ti­tels "im­pas­se"? Wie wer­den Ras­sis­mus und Aus­län­der­feind­lich­keit in die­sem Film ge­zeigt und be­wer­tet?


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