Again


Tief durchatmen zur Erlösung, und loslassen. – Für Freunde der verbreiteten Vorstellung, das Himmelreich sei schon auf Erden zu haben, ganz nach individuellen Wünschen möblierbar und eigentlich nur eine Frage des persönlichen Engagements, ist dieser schöne Film eine ziemliche Horrorvision.

Stel­len wir uns vor, un­se­re Exi­stenz be­stehe aus ei­ner Se­rie be­deu­tungs­lo­ser Ab­läu­fe: Schlaf, Es­sen, Ar­beit, Es­sen, Fern­se­hen, Schlaf, Es­sen, Ar­beit, Es­sen, Fern­se­hen, Schlaf … Auch Nah­rung, Klei­dung, Häu­ser, Au­tos, Flug­zeu­ge, ja so­gar Men­schen, Ar­beit und Kunst exi­stier­ten aus­schliess­lich in Se­rie. Mehr noch: Das Le­ben selbst sei ein ein­zi­ges again, noch ein­mal.

Die­ser Film er­kun­det, wie es wäre, wenn: Die Haupt­fi­gur macht die zen­tra­le Er­kennt­nis über ihre Exi­stenz im Vi­deo­spiel, in dem das game over kein Ende, son­dern ein re­play be­deu­tet: again, noch ein­mal. Als die Haupt­fi­gur auf vie­ler­lei Ar­ten ver­sucht, die­ser Exi­stenz ein end­gül­ti­ges Ende zu set­zen, muss sie er­fah­ren, dass auch Lei­den und Ster­ben der Un­ent­rinn­bar­keit der Se­rie un­ter­wor­fen sind. Und da es kei­ne wirk­li­che Er­lö­sung aus die­ser Exi­stenz gibt, en­det der Film of­fen­bar un­be­frie­di­gend pro­duk­tiv: Was tun? Was den­ken? Wie le­ben?

Der mit sei­nen bunt-be­weg­ten Bil­dern und der freund­lich-klin­geln­den Ton­spur zu­nächst sehr an­spre­chen­de Film birgt also doch ei­ni­ges Ir­ri­ta­ti­ons­po­ten­ti­al und eig­net sich vor­züg­lich für die un­ter­richt­li­che The­ma­ti­sie­rung von Fra­gen nach Sinn, Le­ben, Welt, Wirk­lich­keit – und mög­li­cher­wei­se Er­lö­sung

Für Ar­beit mit dem Film sind zu­nächst ei­ni­ge Vor­über­le­gun­gen sinn­voll dazu, wann im Un­ter­richt Raum ge­ge­ben wird für die – si­cher­lich auf­kom­men­de – Kri­tik an der fil­misch be­haup­te­ten Rea­li­tät so­wie an der im Film ge­zeig­ten Lö­sung des Pro­blems. Je nach den in­ter­pre­ta­to­ri­schen Fä­hig­kei­ten der Schü­le­rin­nen und Schü­ler wird die­se Kri­tik even­tu­ell be­reits so früh auf­kom­men, dass sie nicht erst im letz­ten Schritt auf­ge­nom­men wer­den darf.

In ei­nem er­sten Schritt wäre – even­tu­ell aus­ge­hend vom Film­ti­tel – zu­sam­men­zu­tra­gen, wie die Exi­stenz der Haupt­fi­gur fil­misch als Se­rie in­sze­niert wird: im­mer wie­der, gleich­zei­tig noch ein­mal, über­all und alle gleich.

Zwei­tens wäre die Dra­ma­tur­gie des Films zu skiz­zie­ren: Wel­ches Pro­blem und wel­che Lö­sungs­ver­su­che zeigt der Film, wo sind die Schar­nier- und Wen­de­punk­te des Films und wie wird das Pro­blem schliess­lich ge­löst?

Und drit­tens: Wird das Pro­blem wirk­lich ge­löst oder nicht? War­um bzw. war­um nicht? An die­ser Stel­le soll­ten auch dem Film wi­der­stre­ben­de Welt­bil­der zur Spra­che kom­men kön­nen. Da­mit ist der Über­gang be­reits ge­sche­hen zu der Fra­ge, ob der Film nur ein Ge­dan­ken­spiel ist oder ob er doch Aus­sa­gen über das Le­ben und die Welt macht (na­tür­lich!).

Für in­di­vi­dua­li­täts­gläu­bi­ge dies­seits­ori­en­tier­te West­ler (in jü­disch-christ­lich-mus­li­mi­scher Tra­di­ti­on) ist der Film wohl eher schwer zu ver­dau­en. Eine sinn­vol­le Deu­tung des Films ist nur in leich­tem Wi­der­spruch ge­gen ihn selbst zu ha­ben: Ja, wä­ren wir vir­tu­el­le play­er ei­nes Com­pu­ter-Spiels, dann gäbe es re­play und ewi­ges again. Viel­leicht hät­ten wir dann vor lau­ter ma­schi­nel­ler Phan­ta­sie­lo­sig­keit auch kei­ne bes­se­re Idee als eine Topf­blu­me in all der se­ri­el­len Tri­stesse. Oder wie ein Kom­men­ta­tor zum Film la­ko­nisch schreibt: "hap­pi­ness is slavery." – Doch wir sind Men­schen, sterb­lich zwar, mit end­gül­ti­gem game over (und wie ge­sagt: dies­sei­tig und in­di­vi­dua­li­stisch), aber un­ser Den­ken über­steigt die­ses end­gül­ti­ge Ende, und wir ha­ben Phan­ta­sie auch für das, was sich jen­seits des ein­tö­ni­gen Häu­ser­meers be­fin­det. Wir wür­den die Er­lö­sung ak­tiv su­chen, den Ex­odus aus der Skla­ve­rei wa­gen, auch wenn das ge­lob­te Land fern sein mag, die Flucht ge­fähr­lich und die Aus­sich­ten auf Asyl un­si­cher. Und die Son­nen­blu­me im Film mag ein Sym­bol sein für al­les, was blüht, ver­blüht und stirbt: Nur dar­um strahlt sie so.

Mit ei­nem Blick auf die chi­ne­si­sche Her­kunft des Fil­me­ma­chers scheint al­ler­dings eine öst­li­che In­ter­pre­ta­ti­on (in bud­dhi­sti­scher Tra­di­ti­on) we­sent­lich er­gie­bi­ger. Auf sei­ner Web­site schreibt Chang Gao selbst über den Film:

"AGAIN" is a 2D short ani­ma­ti­on that ex­plo­res the idea that life is a se­ries of meanin­g­less rou­ti­nes. The prot­ago­nist attempts to es­cape from this end­less­ly re­pea­ting world by com­mit­ting count­less sui­ci­des, but he never suc­ces­ses. Even the suf­fe­rings are still part of the cy­cle of re­pe­ti­ti­on. Fi­nal­ly he rea­li­zes that in­ner hap­pi­ness is the best way to achie­ve the free­dom he seeks.

Chang Gao

Der Film lässt sich da­mit als mo­der­ne Ad­ap­ti­on der bud­dhi­sti­schen Leh­re von der Er­lö­sung ver­ste­hen, in der ein Aus­bre­chen aus dem ewi­gen Zy­klus des Samsa­ra nur mög­lich ist durch Er­lö­schen des Kar­ma. Mit die­sem Kon­text ge­winnt das re­play als Grund­idee des Films eine sinn­vol­le Ver­an­ke­rung in der bud­dhi­sti­schen Vor­stel­lung der Re­inkar­na­ti­on. Auch der Ti­tel des Films "again" lässt sich als poin­tier­te Be­zug­nah­me zum Bud­dhis­mus ver­ste­hen. Mit die­sem Zu­gang bie­tet schliess­lich auch das Ende des Films eine wirk­lich sinn­vol­le Lö­sung des fil­mi­schen Pro­blems.