Schweizer Juden: 150 Jahre Gleichberechtigung


"Erst als ausländische Staaten intervenierten, die Schweiz um ihre Handelsbeziehungen fürchtete und sich liberale Kantone für die Emanzipation einsetzten, änderte sich die Situation: 1866 wurden die Juden durch eine Volksabstimmung endlich gleichgestellt." – 150 Sekunden über 150 Jahre Gleichberechtigung der Juden in der Schweiz.

Der do­ku­men­ta­ri­sche Ani­ma­ti­ons­film zeich­net die Ge­schich­te der Ju­den in der Schweiz von der Spät­an­ti­ke bis heu­te nach: Rö­mer­zeit, Mit­tel­al­ter und Pest, Dis­kri­mi­nie­rung, Ver­nich­tung und Ver­trei­bung, ab Ende des 18. Jahr­hun­derts Ghet­toi­sie­rung in den Ju­den­dör­fern Len­gnau und En­din­gen, Bun­des­ver­fas­sung 1848, Gleich­stel­lung 1866, Schächt­ver­bot 1893, Auf­blü­hen der jü­di­schen Ge­mein­den um die Jahr­hun­dert­wen­de und Zio­ni­sten­kon­gress Ba­sel 1897, Prä­gung der ost­schwei­zer Sticke­rei- und der west­schwei­zer Uh­ren­in­du­strie. Schutz für die an­säs­si­gen Ju­den wäh­rend des deut­schen Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, so­wohl Auf­nah­me als auch Ab­wei­sung von flie­hen­den Ju­den. Nach dem zwei­ten Welt­krieg Plu­ra­li­sie­rung und Öff­nung für Min­der­hei­ten, In­te­gra­ti­on als "Schwei­zer und Ju­den, als jü­di­sche Schwei­zer".

Der Film ist nicht nur fil­misch gross­ar­tig ge­macht, son­dern gibt die wich­tig­sten Etap­pen und Er­eig­nis­se hi­sto­risch zu­ver­läs­sig wie­der. Da­mit eig­net er sich vor­züg­lich zur Er­ar­bei­tung der Ge­schich­te der Ju­den in der Schweiz im Rah­men des Ge­schichts- und Re­li­gi­ons­un­ter­richts der Se­kun­dar­stu­fe 1 und 2.

Der Spre­cher­text:

Zu­sam­men mit den rö­mi­schen Le­gio­nen sind Ju­den in die Ge­bie­te der heu­ti­gen Schweiz ge­kom­men. Be­reits um 500 n. Chr. leb­ten Ju­den in den Ge­bie­ten der heu­ti­gen Kan­to­ne Bern und Jura.

Im Mit­tel­al­ter ver­schlech­ter­te sich die Stel­lung der Ju­den zu­neh­mend. Sie wur­den dis­kri­mi­niert und aus­ge­grenzt. Als die Pest Eu­ro­pa heim­such­te, be­schul­dig­te man die Ju­den, die Brun­nen ver­gif­tet zu ha­ben. Vie­ler­orts wur­den in der Fol­ge die Ju­den ver­brannt oder ver­trie­ben.

Ende des 18. Jahr­hun­derts wa­ren Len­gnau und En­din­gen die ein­zi­gen Ort­schaf­ten, wo sich Ju­den dau­er­haft nie­der­las­sen durf­ten. Glei­che Rech­te hat­ten sie aber auch da nicht; sie wa­ren frem­de Schutz­ge­nos­sen, durf­ten kein Hand­werk aus­üben und kei­nen Bo­den be­sit­zen.

Die Bun­des­ver­fas­sung von 1848 ge­währ­te die um­fas­sen­den Grund­rech­te nur den christ­li­chen Schwei­zern. Erst als aus­län­di­sche Staa­ten in­ter­ve­nier­ten, die Schweiz um ihre Han­dels­be­zie­hun­gen fürch­te­te und sich li­be­ra­le Kan­to­ne für die Eman­zi­pa­ti­on ein­setz­ten, än­der­te sich die Si­tua­ti­on.

1866 wur­den die Ju­den durch eine Volks­ab­stim­mung end­lich gleich­ge­stellt. Doch der er­ste Rück­schlag folg­te so­gleich: Kurz nach der Gleich­stel­lung wur­de den Ju­den das ri­tu­el­le Schlach­ten, das Schäch­ten, un­ter­sagt. Tier­schutz spiel­te da­bei wohl eine Rol­le, vor al­lem aber die la­ten­te Ju­den­feind­schaft.

Um 1900 her­um ent­wickel­te sich in der Schweiz ein reich­hal­ti­ges jü­di­sches Le­ben mit vie­len neu­en Ge­mein­den. 1897 fand in Ba­sel so­gar der er­ste Zio­ni­sten­kon­gress statt. Die Schwei­zer Ju­den ga­ben vie­ler­orts wich­ti­ge Im­pul­se, präg­ten noch mass­ge­bend die Sticke­rei-In­du­strie in der Ost­schweiz oder die Uh­ren-In­du­strie in der West­schweiz.

Als Nazi-Deutsch­land Eu­ro­pa ins Ver­der­ben stürz­te, war die Schweiz für die an­säs­si­gen Ju­den ein Ort der Si­cher­heit, und rund 23'000 ver­folg­ten Ju­den ge­lang die Flucht in die Schweiz. Schät­zungs­wei­se 20'000 jü­di­sche Frau­en, Män­ner und Kin­der wur­den aber ab­ge­wie­sen: "Das Boot ist voll", hiess es. Für die al­ler­mei­sten be­deu­te­te dies der si­che­re Tod.

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg wur­de die Schweiz all­ge­mein plu­ra­li­sti­scher und of­fe­ner ge­gen­über Min­der­hei­ten. Heu­te le­ben rund 18'000 Jü­din­nen und Ju­den in der Schweiz. Sie sind ein in­te­gra­ler Teil der hie­si­gen Ge­sell­schaft. Sie füh­len sich als Schwei­zer und Ju­den; als jü­di­sche Schwei­zer.

Für eine Be­ar­bei­tung im Un­ter­richt kön­nen leicht ei­ni­ge Vi­deo­stills er­stellt wer­den, an­hand de­rer die wich­tig­sten Er­eig­nis­se schritt­wei­se ver­tieft wer­den kön­nen. Hi­sto­ri­sche In­for­ma­tio­nen fin­den sich ak­tu­ell auf den Web­sites des Schwei­ze­ri­schen Is­rae­li­ti­schen Ge­mein­de­bunds SIG so­wie ver­schie­de­ner Ta­ges­zei­tun­gen:

swiss​jews​.ch/​d​e​/​j​u​e​d​i​s​c​h​e​s​l​e​b​e​n​/​g​e​s​c​h​i​c​h​te/

www​.nzz​.ch/​s​c​h​w​e​i​z​/​a​k​t​u​e​l​l​e​-​t​h​e​m​e​n​/​d​e​r​-​l​a​n​g​e​-​w​e​g​-​a​u​s​-​d​e​m​-​g​h​e​t​t​o​-​l​d​.​4​242

www​.ta​ges​an​zei​ger​.ch/​l​e​b​e​n​/​g​e​s​e​l​l​s​c​h​a​f​t​/​v​e​r​s​p​a​e​t​e​t​e​-​e​m​a​n​z​i​p​a​t​i​o​n​-​d​e​r​-​j​u​d​e​n​/​s​t​o​r​y​/​2​3​9​9​0​262

Doch ne­ben der in­halt­li­chen ist auch die for­ma­le Ebe­ne des Films be­ach­tens­wert: Der Lauf der Ge­schich­te wird – ohne auch nur ei­nen ein­zi­gen Schnitt – als kon­ti­nu­ier­li­che Ka­me­ra­fahrt durch ein ein­zi­ges end­lo­ses Bild­ta­bleau ins Bild ge­setzt. Bis­wei­len kün­det ein dunk­ler Wald oder eine am Bild­rand her­auf­zie­hen­de schwar­ze Wol­ke schon früh­zei­tig von schlim­men Ge­scheh­nis­sen der Zu­kunft. An­de­rer­seits zeigt die Fahrt vom star­ren Win­ter durch leuch­ten­den Früh­ling in den blü­hen­den Som­mer auch sym­bo­lisch die sich all­mäh­lich ent­span­nen­de re­li­gi­ons­po­li­ti­sche Lage an.

Die­ser fil­mi­sche Trick im­pli­ziert an­de­rer­seits ein be­den­kens­wer­tes Zeit­kon­zept: Ge­wis­ser­mas­sen ist in dem von links nach rechts ab­ge­fah­re­nen Bild, die­sem Pan­ora­ma der Ge­schich­te, im­mer al­les gleich­zei­tig vor­han­den: un­ver­gäng­lich? schon im­mer? Die Ver­gan­gen­heit ent­schwin­det zwar links am Bild­rand, aber wäre wo­mög­lich noch zu­gäng­lich, wenn man (er­in­nernd?) zu­rück­gin­ge. Und die Zu­kunft, die sich rechts in die Of­fen­heit des blau­en Him­mels er­streckt, er­öff­ne­te sich wo­mög­lich (und un­vor­stell­bar) be­reits da­mals, als das schwar­ze Ge­wit­ter der Ver­nich­tung blitz­te.

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