Petit Carré – Jonas


"Une équation qui ne tourne pas rond" – Das Musikvideo ermöglicht einen guten Zugang zur unterrichtlichen Auseinandersetzung mit dem vermeintlich schweizerischen Premium-Produkt Schokolade und den Produktionsbedingungen und Handelsbeziehungen des Schokoladen-Rohstoffs Kakao.

Wie von Gei­ster­hand spielt das Kla­vier – weis­se Ta­sten und schwar­ze Ta­sten ganz aus Scho­ko­la­de. Das ist lu­stig und ir­gend­wie auch eke­lig. Eben­falls der ein­set­zen­de Kon­tra­bass ist aus Scho­ko­la­de, da­hin­ge­streckt am Bo­den. Al­les aus Scho­ko­la­de, sonst nur grau­er Kar­ton.

Vers eins, ein scho­ko­la­den­ver­schmier­tes Ge­sicht rappt fran­zö­sisch durch das Loch in der Kar­ton­wand. Kein Gang­sta-Rap, kei­ne Um­gangs­spra­che, son­dern sorg­fäl­tig for­mu­lier­te Spra­che, ge­stal­te­te Ver­se, geist­reich, hin­ter­sin­nig und ele­gant. Doch schau­en wir auf die Bil­der: Über ein Fliess­band rol­len Scho­ko­la­den­stücke, eine Scho­ko­la­den­fa­brik in den Al­pen, die Scho­ko­la­de sam­melt sich auf ei­nem Wä­ge­li und das ver­schwin­det durch ein Roll­tor hin­aus. Per­fekt or­ga­ni­siert, wie wir es schät­zen. Dann – aus ge­schmol­ze­ner Scho­ko­la­de ge­zeich­net – eine Ka­kao­frucht, dar­in die Scho­ko­la­den­qua­dra­te wie Ka­kao­boh­nen. Ein Schiff vol­ler Ka­kao­boh­nen fährt fort. Eine Welt­kar­te; vie­le Schif­fe fah­ren im Drei­eck Afri­ka-Ame­ri­ka-Eu­ro­pa über den At­lan­tik. Ein Ka­kao­baum wächst, grü­ne Blät­ter, gel­be Früch­te. Nun wie­der in der Fa­brik in den eu­ro­päi­schen Al­pen: Die Ma­schi­ne macht aus Scho­ko­la­de Gold: gol­de­ne Fünf-Fran­ken-Scho­ko­la­den­ta­ler. Der Schog­gi­ta­ler schmilzt.

Im Re­frain die Kar­ton­wand, nun ganz scho­ko­la­den­ver­schmiert, ge­nau wie das Ge­sicht. Noch ein­mal der at­lan­ti­sche Drei­ecks­han­del. Drei schwar­ze Scho­ko­la­den­küs­se plat­zen, der weis­se Schaum quillt her­aus. Durch die Kar­ton­wand schla­gen zwei Hän­de mit Scho­ko­la­den­köp­fen die Köp­fe an­ein­an­der. Durch die Kar­ton­wand der Mund ei­nes Kin­des, vol­ler Scho­ko­la­de. Zwei Hän­de ra­gen aus der Kar­ton­wand, ge­schmol­ze­ne Scho­ko­la­de fliesst dar­an her­un­ter.

Zwei­ter Vers, zwei scho­ko­la­den­ver­schmier­te Hän­de auf Kar­ton, die Wand wird von Scho­ko­la­de über­schmiert, zwei sau­be­re Hän­de auf Kar­ton, die Hän­de wer­den von Scho­ko­la­de über­schmiert. Vie­le schwarz ver­schmier­te Hän­de win­ken – wie aus Ge­fäng­nis­mau­ern – durch die Kar­ton­wand. Ein Sta­pel Scho­ko­la­den­ta­ler fällt um, schmilzt da­hin, wie ein Scho­ko­la­den­meer. Die Welt­kar­te; statt Drei­ecks­han­del nun Schif­fe aus Afri­ka di­rekt in die Schweiz. Die schwar­zen Hän­de wer­den ver­bun­den, ein rie­si­ger mon­strö­ser Klum­pen, eine schwar­ze Kra­ke. Klei­ne schwar­ze Ma­rio­net­ten wer­den von weis­sen Hän­den be­wegt.

Im Re­frain der Ka­kao­baum, nun rück­wärts: Die Früch­te ver­schwin­den, die Blät­ter, der gan­ze Baum.

Brig­de: Schwarz ver­dreck­te Hoch­häu­ser, draus­sen Au­tos, Fa­brik­last­wa­gen. Drin­nen ein weis­ses Ge­sicht, Fern­seh­ge­rät, Mat­ter­horn-Bild, eine Trä­ne rollt das Ge­sicht hin­un­ter. Ein Wä­ge­li vol­ler Scho­ko­la­de rollt her­ein, aus dem Ge­sicht schlän­gelt sich eine ge­spal­te­ne rote Zun­ge und ver­schlingt die Scho­ko­la­de.

Vers drei, im Fern­seh­ge­rät er­scheint der rap­pen­de Jo­nas, full­screen, ap­pel­la­ti­ver Blick in die Ka­me­ra. Aus Kar­ton die Um­ris­se der Schweiz, scho­ko­la­den­ver­schmiert. Hän­de ra­gen durch die Kar­ton­wand und wer­den schwarz ver­schmiert. Die Scho­ko­la­den­stücke schmil­zen.

Noch ein­mal der Re­frain: Ein weis­ser Kö­nig aus Kar­ton thront über ei­nem Tisch vol­ler Scho­ko­la­de, ge­türmt und ge­sta­pelt. Der Kö­nig di­ri­giert und nach sei­nem Takt wach­sen und schrump­fen die Scho­ko­la­den­sta­pel. Kei­ne Gei­ster­hand also war es, son­dern die­ser weis­se Kö­nig, der das Scho­ko­la­den-Kla­vier, den Scho­ko­la­den-Kon­tra­bass di­ri­giert. Zum Schluss noch ein sil­bern ver­pack­tes Schog­gi­herz, aus­ge­packt, es schmilzt, es ver­brennt, ver­kohlt.

Schliess­lich der Ab­spann mit den Cre­dits, ge­schrie­ben aus ge­schmol­ze­ner Scho­ko­la­de.

Die Bild­spra­che des Mu­sik­vi­de­os ist sehr ex­pli­zit und er­mög­licht Schü­le­rin­nen und Schü­lern ab ca. 13 Jah­ren auch ohne so­li­de Fran­zö­sisch-Kennt­nis­se ei­nen gu­ten Zu­gang zu dem The­ma, das der Gen­fer Rap­per Jo­nas mit sei­nem ein­drucks­vol­len Text, der sehr an­spre­chen­den Mu­sik und dem bild­star­ken Mu­sik­vi­deo an­spricht: Das ver­meint­lich schwei­ze­ri­sche Pre­mi­um-Pro­dukt Scho­ko­la­de und die Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen und Han­dels­be­zie­hun­gen des Scho­ko­la­den-Roh­stoffs Ka­kao.

Für die Ar­beit im Un­ter­richt schla­ge ich vor, das Mu­sik­vi­deo tat­säch­lich als Mu­sik­vi­deo zu un­ter­su­chen, also be­weg­te Bil­der, Mu­sik und Rap-Text ge­mein­sam wir­ken zu las­sen: Ins­be­son­de­re wür­de ich ab­se­hen vor ei­ner Vi­sio­nie­rung mit Un­ter­ti­teln, die den Fo­kus al­lein auf den Text le­gen und die Sicht auf Bil­der, Mu­sik und Spra­che ver­stel­len. Mit ei­nem sol­chen Zu­gang kann das Mu­sik­vi­deo tat­säch­lich als Film in den Blick ge­ra­ten, der eben sehr vie­le Sin­ne an­spricht. Nach der er­sten Vi­sio­nie­rung könn­ten sinn­vol­ler­wei­se die viel­fäl­ti­gen Be­ob­ach­tun­gen zu­sam­men­ge­tra­gen wer­den. Ver­mut­lich wird min­de­stens die The­ma­tik des Vi­de­os da­bei sehr deut­lich: Es geht um Scho­ko­la­de, Ka­kao, Roh­stoff­han­del und ins­be­son­de­re die Rol­le des "Schog­gi­lands" Schweiz.

Ein ei­nem zwei­ten Durch­gang könn­te ein ge­ziel­te­rer Blick auf das Wie der fil­mi­schen Ge­stal­tung ge­wor­fen wer­den: Die Scho­ko­la­de über­all, die im­mer wie­der schmel­zen­de, die schmie­ri­ge, wie Blut al­les ver­schmie­ren­de ge­schmol­ze­ne Scho­ko­la­de. Die Kar­ton­wand, das Vor­ne und Hin­ten. Der Kon­trast zwi­schen scho­ko­la­den-schwarz-braun und weiss. Die gol­de­nen Schog­gi­ta­ler. Die ge­spal­te­ne Zun­ge. Der weis­se Kö­nig. Und: Die Mu­sik. Und: Der Text.

Nach mehr­ma­li­ger Vi­sio­nie­rung wer­den ei­ni­ge Schü­le­rin­nen und Schü­ler min­de­stens ei­ni­ge Wör­ter, viel­leicht auch gan­ze Sät­ze, mög­li­cher­wei­se so­gar ei­ni­ge Zu­sam­men­hän­ge ver­stan­den ha­ben. Für die de­tail­lier­te Text-Ar­beit kann so­wohl das fran­zö­si­sche Ori­gi­nal als auch eine deutsch­spra­chi­ge Ver­si­on des Tex­tes bei­gezo­gen wer­den – mit ei­nem acht­und­vier­zig­fa­chen Dank an Bea­tri­ce Teu­scher für die gross­ar­ti­ge Über­tra­gung:

Schliess­lich: Was steckt hin­ter die­sem Text, hin­ter der Mu­sik und hin­ter dem Mu­sik­vi­deo? Der Rap­per Jo­nas selbst ver­weist un­ter sei­nem You­Tube-Mu­sik­vi­deo auf die Pu­blic-Eye-Web­site zum The­ma Scho­ko­la­de. Dort fin­den sich um­fas­sen­de In­for­ma­tio­nen und Ma­te­ria­li­en zum The­ma Scho­ko­la­de: Pro­duk­ti­on, Kon­sum, Ka­kao-Han­del, Ka­kao-An­bau, Kin­der­ar­beit. Zu­dem gibt es In­for­ma­tio­nen zu den wich­tig­sten La­bels so­wie ei­nen Scho­ko­la­den-Fir­men-Check.

Das Ideen­Set "Post­ko­lo­nia­le Schweiz" der PHBern bie­tet um­fang­rei­che Un­ter­richts­ma­te­ria­li­en zu den öko­no­mi­sche Ver­flech­tun­gen von Schwei­zer Fa­bri­kan­ten, Händ­lern, zu Fi­nanz­un­ter­neh­men in den trans­at­lan­ti­schen Wa­ren- und Skla­ven­han­del so­wie zur Pro­duk­ti­on von ko­lo­nia­len Denk­wei­sen.

Die von éducation21 pro­du­zier­te DVD "Film ab für BNE. 9 Kurz­fil­me zum Ein­stieg in Bil­dung für Nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung" mit nicht­ge­werb­lich-öf­fent­li­chem Vor­führ­recht (Ö‑Recht) ent­hält ne­ben dem Mu­sik­vi­deo (wahl­wei­se mit deut­schen oder ita­lie­ni­schen UT) das auch on­line zu­gäng­li­che Be­gleit­ma­te­ri­al von Hans­pe­ter Mül­ler.

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Bibliothekarische Bestellung des Films

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